Bericht aus der Elektro-Hauptstadt

Posted by | November 8, 2015 | Sound | No Comments

Zweiter Konferenztag, Part II
von unserem Gastautor Timor Kaul

Was machte DAF denn so Neu!? Alles und gar nichts gewissermaßen. Denn eigentlich war alles schon da gewesen: Die Ramones hatten schon viel früher Naziembleme verwendet und vom „Blitzkrieg Bop“ gesungen, die sequenzierten und gelegentlich transponierten Basslinien ließen sich bei Kraftwerk finden und der Gesang war im Stil von Punk und davon beeinflusster NDW gehalten. Doch gerade von Kraftwerk wollten sich Delgado, Görl und Co. sozusagen ödipal absetzen und nannten die Kooperation von Giorgio Moroder und Donna Summer als wichtigste Inspiration für ihre eigene Mischung von Elektronik und Sex. Dass es sich bei DAF relativ offensichtlich um schwulen Sex handelte, war dann allerdings trotz New York Dolls, Village People und Camp in den frühen 1980ern noch eher ungewöhnlich, zumal in Kombination mit S/M-Verweisen und latent faschistoider Ästhetik.

Die Deutsch-Amerikanische-Freundschaft spielte mit Tabuisiertem und Verstörenden und anders als in den USA oder auch in Großbritannien, ging es dabei irgendwie immer wieder auch um das eigene Deutsche, das Belastende, die NS-Vergangenheit. DAF habe dadurch den Prozess der „normalization“ des unausgesprochenen Nazi-Erbes unterbrochen, so Melanie Schiller in ihrem Vortrag. Zugleich waren diese Schockeffekte eine offensichtliche Absage an den „hippy bullshit“ (Diedrichsen) des Krautrock und provozierten dementsprechende Reaktionen der Musikpresse. Der Hit „Mussolini“ brachte Hitler auf den Dancefloor und die Bühne. Allerdings war der Song durch die Parallelisierung von Mussolini, Hitler und Jesus Christus grundsätzlich ideologiekritisch. Bei Live-Auftritten erschien Delgado darüber hinaus als „queer master“ (der master race), der den befehlsartigen Inhalt und Ton von Text und Gesang durch seine asynchronen Bewegungen ad absurdum führte. Demaskierung, Dekonstruktion und Persiflage der traumatischen Vergangenheit erlaubte dann eine Re-Narration deutscher Identität. Auch bei Schiller erschien damit wieder das von David Pattie zu Beginn des Syposiums kritisierte Paradigma des Traumas vor dessen Hintergrund bundesdeutsche Popkultur zumeist analysiert wird. Allerdings ist und bleibt Auschwitz nun einmal die negative Gründungsakte dieses Staates, in dem wir leben und ungeheures Menetekel unserer Geschichte. Mit Stuart Hall wäre hier die Frage zu stellen: „Who needs [national] identity?!“. Interessanterweise diente denn auch die Verwendung von NS-Symbolen bei den teilweise jüdischstämmigen Ramones dem Zweck der provokativen Absage an kollektive Identitäten oder sogar der „Identitätszerstörung“ (Werner Nell).

Marcus S. Kleiner analysierte DAF vor allem in einem subkulturellen Kontext, in dem teilweise auch der martialische Nazi-Chic schon länger angesagt war. Delgado und Görl seien nicht spezifisch politisch und an Bedeutungsproduktion interessiert gewesen, wohl aber an Distinktion durch musikalische und sonstige coolness (Kleiner versteht dabei die ganze Popgeschichte als Abfolge von ,heißen’ und ,kalten’/ ,coolen’ Genres). Die eigentliche Dissidenz des Duos bestand darin, dass sie dem kapitalistischen Primat der Arbeit und dem kleinbürgerlichen Ethos der Sparsamkeit ihr „Verschwende deine Jugend“ nicht nur als Slogan sondern als gelebte Maxime entgegensetzten. Im Rahmen ihrer „Body Politics“ wurde dann selbst der Schweiß auf den ,transienten’ und fetischisierten Männerkörpern zum Diskursbeitrag.

DAF blieb dabei ambivalent. Eine Textzeile wie „Die lustigen Stiefeln marschieren über Polen.“ lässt sich ideologisch eben nicht in Einklang bringen mit dem RAF-Logo auf T-Shirts der Band. Zu ergänzen wäre, dass die Abkürzung DAF ja auch keinesfalls schon immer für die deutsch-amerikanische Freundschaft stand und auch diese gerade in Zeiten von allgegenwärtigen Atomkriegsszenarien und des Nato-Doppelbeschluss ironisch oder gar sarkastisch gemeint gewesen sein dürfte. Nicht nur DAF tanzte seinerzeit den Tanz auf dem Vulkan, aber gerade sie spielten sehr erfolgreich mit dem Radikalen und Verbotenen und haben ihren verdienten Platz im Olymp von EBM und Popkultur gefunden.

Und so gibt es auch einen Düsseldorfer Klub, dessen DJs gelegentlich sogar DAF-Songs in ihre Sets einbauen und dessen Publikum neben House, Acid, Electro oder Techno dann auch etwa zu „Alle gegen Alle“ tanzt. Erstaunlicherweise tauchte dieser Klub ebenso wenig im Beiprogramm der Electri_City Konferenz auf wie die angeblich angefragten DAF. Nun gut- Delgado und Görl haben wirklich viel verschwendet und einen guten Namen, dürften also vermutlich nicht so ganz billig sein. Der Klub ist in der Szene ebenfalls sehr renommiert und verständlicherweise an der Wahrung der inhaltlichen Qualität seines Programms (inkl. DAF und auch krautigen Tracks) interessiert. Demnächst wird also aus der selbsternannten Elektro-Hauptstadt also über Kunst und Kommerz zu berichten sein- stay on the scene!

About Timor Kaul

Der Kölner Kultur- und Musikwissenschaftler Timor Kaul ist regelmäßiger Gastreferent am Institut für Populäre Musik in Bochum und arbeitet zur Zeit an seinem musikethnologischen Promotionsvorhaben Lebenswelt House/ Techno: DJs und ihre Musik.

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