Who stole the soul?
Dash fragt sich, was mit dem Soul in Ruhrgebiet passiert ist – und checkt eine neue Veranstaltungsreihe im Jazzclub Domicil.
Zwischen 1993 und 1996 wurde der Soul den Ruhrgebiets-Clubbern geradezu eingeflößt. Kaum ein Sampler, eine Bar, kaum ein zweiter Floor oder ein ganzer Club-Abend, wo nicht klassische Soul-Grooves, Nostalgie und Funk, das Gesellschaftliche im Privaten, Sex, Schweiß und Working-Class-Spirit mal mit mehr, mal mit weniger Finesse und Style abgefeiert wurden. Freestyle-Sets mit zum Beispiel einem Mix aus TripHop, Jungle, House, Elektro, HipHop, Soul und Funk waren bei DJs und Tänzern beliebt, die Wuppertaler Beatbox, das alte Cosmotopia in der Dortmunder Nordstadt, das Freunde Wie Wir-Kollektiv in Bochum sowie viele weitere Orte und Akteure sorgen für den Unterleibsschwung. Wer heute klassischen Soul oder gar NewSoul hören will, der hat die Wahl zwischen schlechten Soulhit-Coverbands auf Stadtfesten, weiten Wegen zu Konzerten und dem Zuhausebleiben. Okay, es gibt im Duisburger Gramitikoff ab und an Soul-Partys, auch das Cosmotopia in der Dortmunder Großmarktschenke setzt auf Bewährtes und es gibt Elektro-Swing im Bochumer Bahnhof Langendreer, was aber mit Soul aber nur am Rande zu tun hat. Dabei sind spätestens mit und nach der Retrowelle im Dunstkreis von Amy Winehouse und Co auch abseits des Mainstreams spannende Bands unterwegs, verschollene Soul-Schätze werden auf Vinyl wiederveröffentlicht, jeder Hochzeits-DJ und jedes Ü50-Publikum kann die Soul-Gassenhauer sowieso mitsingen und auch im Underground ist das Interesse an seelenvoller Musik ungebrochen stark.
Nun versuchen die Macher von Trust in Wax im renommierten Dortmunder Jazzclub mit „The Sound Of Dotown“ die Wiederbelebung des Souls im Clubformat. Neben Klassikern von Marvin Gaye und den O-Jays sowie Soul zwischen den Sechzigern und Achtzigern droppen DJ At und DJ Nachtfalke jeden zweiten Samstag im Monat auch überraschende Remixe und eigene Edits. Auf dem zweiten Floor gibt es perligen und stilvollen DeepHouse bis Chicago House mit dem Resident-DJ Daniel Albert und Gästen, wie Hans Nieswandt, Sven Kaufmann, Dash und Ingo Sänger.
Der DoTown-Macher DJ At führt aus: „Generell ist Soul-Musik momentan alles andere als präsent in der Öffentlichkeit. Große und regelmäßige Soulpartys kenne ich eigentlich nicht. Umso mehr freuen wir uns, dass sich das Domicil traut, gemeinsam mit uns eine Reihe jenseits des Mainstreams zu starten.“ Die DJs der Reihe möchten fotografisch nicht abgebildet werden, denn „es soll um die Musik gehen, und weniger darum, wer sie auflegt. Wir sind keine klassischen Northern Soul-Experten, aber als Vinylsammler und Musiker haben wir schon immer eine Leidenschaft für den Sound gehabt. Auf der DoTown-Premiere im Februar können wir schon mal aufbauen. Es wurde von Anfang an getanzt und es gab viel positives Feedback. Insofern denken wir schon über Gast-DJ-Bookings nach. Den ein oder anderen Wunsch-DJ gerade aus England hätten wir schon auf der Liste. Aber alles zu seiner Zeit.“[divider]
DO-TOWN SOUL TOP 5 => The Jackson 5 – I Want You Back (Z-Trip Bonus Beats Mix) youtube Marvin Gaye – Got To Give It Up youtube Martha Reeves & The Vandellas – Nowhere To Run youtube The Temptations & The Steadies – my girl youtube The Temptations – Papa Was A Rollin‘ Stone (DJ Jazzy Jeff & Pete Kuzma Solefull Remix) youtube
„Bei DoTown versuchen wir Soulfulles aus unterschiedlichsten Genres auf den Plattenspielern zu kombinieren. Es ist eine kleine Soundreise, auf der auch ein HipHop-Head das ein oder andere Sample wiedererkennen wird. Und es kann auch mal etwas housiger werden. Gemeinsam ist den meisten Tracks sicher der Vibe und dass man gute Laune bekommt“, erklärt der HipHop-geschulte DJ At. „Dabei legen wir nicht ausschließlich mit Vinyl auf, sondern auch digital. Dann verändern wir schon mal das Arrangement eines Stückes. Die Seele wollen wir erhalten wissen, aber manchmal baut sich ein Stück sehr lange auf oder wir finden einen Part zu kurz oder zu lang und editieren dann selber.“ Nachtfalke beschreibt, was für die beiden DoTown-Initiatoren eben diese Seele bedeutet: „Für uns ist Soul einfach tiefe und schöne Musik. Für heutige Verhältnisse wurden vieler der Soulnummern trotz einfacher technischer Verhältnisse unglaublich aufwendig produziert. Man spürt, dass da Musiker, die ihre Instrumente beherrschen und auf einem hohen Niveau zusammenspielen, am Start sind.“ Die Renaissance des Souls sehen die beiden allerdings eher im Indie-Musikmarktbereich sehen: „Es gibt viele gute Labels, die regelmäßig neue und alte Tracks auf Vinyl releasen. In den großen Medien ist Soul als Musikrichtung aber weiterhin ein Exot.“ Die nächste DoTown-Party mit Spin auf dem zweiten Floor ist am Samstag , 12. März 2016, ab 23 Uhr im Dortmunder Jazzclub Domicil.
„We need more Erykah Badus and D’Angelos and less children with no destiny“ (DJ Linus – Who Stole The Soul (Phil Weeks & Daniel Duriez Remix))
Es gibt ihn, den Soul da Draußen. Er möchte nur gesucht werden. Vielleicht sogar mehr als jemals zuvor. Ob er bei DoTown zu finden ist, das bleibt jedem Tänzer und Hörer selbst überlassen, aber die Chance ihn hier zu treffen ist eine. Der Soul spielt sich – zumindest im Clubkontext – weniger als noch in den Neunzigern in seinen originären Genres ab. DeepHouse und einige Spielarten von Techno sowie englische Clubmusik und Drum & Bass hatten schon immer den Soul gepachtet, Disco sowieso. Soul-Kenner suchen nach neuen Äckern zum Diggen, wie zum Beispiel in WorldMusic-Klängen zwischen Thailand, Marroko, Ghana und Brasilien. Disco erzählt derweil sein Versprechen auf Erlösung der unterdrückten, leidenden Körper und Seelen auf den kleineren Floors und in House-Sets größerer DJ-Namen fort. Im Ruhrgebiet sind Kalakuta Soul die Referenz auf den genannten Gebieten. Die Lindy Hoper und Scooter-Crews trifft sich zu Swing-Abenden respektive Soul-Allnightern in ihren Locations und kommunizieren eher szeneintern. Der Soul-Spirit trägt die großen Alben des vergangenen Jahres von Jamie XX über Kamasi Washington bis Kendrick Lemar. Vor allem ist er präsent in den melancholischen House-Scheiben vom Schlage des Innervisions-Label und Seelenverwandten – dies seit circa drei Jahren zu hören auf Festivals und in popigen Varianten in den Charts. Langsam bahnt sich eine Verschiebung zu euphorischen Vocals an. Die Zeiten sind schlecht. Solange die Menschen den Blues haben, wird es Soul geben. Und „the blues is now“.