Ruhrtriennale: Champions League?
Zugegeben, ich bin ein langjähriger Fan der Ruhrtriennale – auch wenn es da viel zu diskutieren gäbe. Mit dem neuen künstlerischen Leiter Johan Simons habe ich ich kein Problem. Ich begrüße auch die Neuerungen im Programm, die Kurator und Dramaturg Tobias Staab eingeführt hat ,der mir von den akademischen Wurzeln und inhaltlich als DJ, Journalist, Mediendenker und Veranstalter nahe steht. Eine Brücke zwischen regionaler Clubkultur, die sich keineswegs verstecken muss, und Kunst in der Champions-League-Klasse sollte vor allem in der Eröffnungsveranstaltung geschlagen werden.
RITOURNELLE
Dafür wurde der überaus erfolgreiche Essener Underground-Club Goethebunker mit ins Boot genommen, in dem alles, was in Szenemedien und in der elektronischen Musikwelt zwischen Detroit und Berlin angesagt ist, regelmäßig ein und aus geht. Auch wenn manche Puristen nicht die Booking-Politik des Goethebunkers gutheißen, so habe ich kein Problem damit. Wer zuvor darüber gemeckert hat, dass die großen DJ-Stars der elektronischen Underground-Tanzmusik die Ruhrgebiet-Clubs meiden, der hat jetzt keinen Grund mehr zur Sorge und hat einen Anlaufpunkt.
Warum nicht also auch eine Kooperation mit dem größten und internationalsten Kunstfestival der Region? Und welcher heimische Club hätte sich nicht gerne auf der Ruhrtriennale präsentiert. All good. So stand der Eröffnungsabend der Ruhrtriennale unter dem Titel „Ritournelle“. Der Plan der Veranstalter ging auf und neben der Kunstprominenz machten auch einige Szene-Aktivisten und Multiplikatoren der Clubkultur ihre Aufwartung am 15. August in der Jahrhunderthalle Bochum. Als Headliner wurde Caribou auserkoren. Der Kanadier hatte nach Meinung der Musikmagazinredakteure und vieler Leser 2014 das Album und das Stück des Jahres veröffentlicht und ist bekannt dafür, dass er ein zahlungsfähiges, fortgeschrittenes Clubber-Publikum wie Indie-Fans gleichermaßen in die Hallen zieht. In einer stimmigen Lichtinszenierung und Performance brauchte Caribou dann auch die Masse in Bewegung, Ikea-Päärchen in Verzückung und Rave-Heads zum Kopfknicken. Kurz zuvor spielten The Notwist in der imposanten Halle. Man kann sich ihrem Charme kaum entziehen und ich weiß, dass die Jungs unantastbar sind. Etwas mehr Neues hätte ich mir gewünscht, damit Notwist nicht bald die Rolling Stones der Indie-Szene sind. Dafür kamen die Dub-Effekte in der Länge der Industriehalle gerade im hinteren Teil besonders gut. Die neue Band Hecta des Lambchop-Sängers Kurt Wagner machte mit elektronischer Musik und 80er Jahre-IndiePop-Einschlag den Opener auf dem Konzert-Floor, der vom Label City Slang gehosted wurde.
Ein Teil des Außengeländes gehörte dem Techno, der nicht nur Jets und Kamerateams in Berlin landen lässt, sondern auch einfach mal gut und stimmig ist – abseits der omnipräsenten Diskussionen. Barnt und Roman Flügel spielten zur gleichen Zeit wie die Main-Live-Acts und lieferten klasse Sets ab, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten. Als dann Rodhad vom Dystopian Label sein deepes bis hypnotisch forderndes Techno-Set als Höhepunkt des Abends begann, begann auch ein nicht mehr enden wollender Regen. Schade, dass es keine Ausweich-, Unterstell- oder Überdachungsmöglichkeit für Floor und Tänzer gab und auch dass Quarter Midi vom äußerst empfehlenswerten Grokenberger-Label nicht mehr genossen werden konnten. Dafür ging es in der Scheune, also in einer der Gebäude-Installationen von „The Good, The Bad & The Ugly“ vom Atelier van Lieshout vor der Jahrhunderthalle, zu den Bass- und HipHop-Klängen von Dub’l Trouble regengeschützt noch gut ab, allerdings „nur“ bis 4 Uhr. Während der Ruhtriennale fanden hier auch weitere DJ-Sets bei freiem Eintritt statt. Eine sehr gute Idee.
Davon ab war der Eröffnungssamstag einer der besten der Ruhrtriennale, die sich noch wesentlich mehr trauen kann und sollte bei solchen Events.
ORFEO
In der Mischanlage auf dem Welterbe Zollverein in Essen spielte sich bei „Orfeo“ unter Susanne Kennedys Regie eine intensive Höllen-/Himmelfahrt ab. Auch im weiteren Verlauf immer wieder begleitet durch Opernmusik von Monteverdi, beginnen fünf bis sechs Personen den Parcours in einem alten Kohlewagen, mit dem die sonst nicht zugängliche Lorenzschräge vom Wiegehaus aus passiert wird. Es darf nicht fotografiert werden. Volle Konzentration. Oben angekommen wird meine Gruppe von einer der schönsten Frauen, die ich seit langer Zeit gesehen habe, schweigend in Empfang genommen. Allen ist unklar, was passieren wird. Man schweigt. Aus der Ferne erklingt Monteverdi. Durch Industrieräume folgen wir der Schönheit, sehen durch eine Einlassung im Boden auf das maskierte Orchester herunter, welche die zuvor gehörten Klänge spielt. Dann ein Abstieg durch einen Trichter zu einem Warteraum wie aus einem David Lynch-Film. Ein Countdown läuft und Instruktionen werden über Kopfhörer gegeben, dass in dem nun folgenden Raum-System nur durch die nächste Tür gegangen werden darf, wenn diese entriegelt ist und grünes Licht zeigt. Dazu akustische und textliche Aufforderungen an die Besucher vom Leben los zu lassen, den Tod, Transzendenz, den Verlust des Egos zu akzeptieren. Im weiteren Verlauf, den ich aufgrund der Länge nicht detailliert schildern möchte, erleben wir in einzelnen Räumen verstörende Situationen mit stets schweigenden Schauspielerinen in entindividualisierten Maskierungen, freaky-erotischen und immer befremdlichen Outfits in surreal ausgestatten David Lynch-Alltagshöllen. Bis heute ist mir unklar, ob ich durch mein Verhalten und zarte Interaktionsversuche es beeinflussen habe können, wann sich die Tür zum nächsten Level – sprich nächsten Raum – öffnet. In einigen Szenerien vermischten sich zudem Schauspieler mit der eigenen Besuchergruppe und anderen Besuchern, was einen maximalen mindfuck-Effekt hatte. Wer ist nun wer, wer sieht dich wie und wohin geht es, was würde passieren wenn jemand sprechen würde, oder soll das sogar provoziert werden usw. Ein Trip von 90 Minuten, den viele als quälendes Selbstexperiment erlebt haben. Ich konnte irgendwann auf Kontemplation umstellen und mich fallen lassen in Unterbewusstes, Überzeugungen und Angelerntes über Leben, Tod und dem Außersprachlichen, das nach dem Durchleben eines klischeehaft komplett weißen Raums, in welchem man alleine mit einem Sänger ist, in einem Raum mit befülltem Sterbelager zurück in seine Beschreiberrrolle geworfen wird, was nicht weniger emotional sein muss. In Stücken wie „Orfeo“ zeigt sich, zu welchen Erfahrungen Kunst leiten kann.
PROMETEO
Durch das Aufwachsen mit meinem großen Bruder, der mir früh Stockhausen, Alban Berg, Penderecki etc. vorspielte und heute Komponist und Profimusiker ist, sowie durch meine Arbeit im Kunstbereich bin ich mit atonaler Musik, neuer Musik und Zwölftonmusik vertraut. Was ich aber in der Neuproduktion von Luigi Nonos „Prometeo“ erlebt und gehört habe, das sprengte meinen bisherigen Erfahrungsschatz. Und auch darum ging es, das Hören zu überraschen, aus zu tricksen, neu zu konfigurieren. Für diese „Tragödie des Hörens“ (Programmheft) wurde die Dramaturgie der Kraftzentrale im Landschaftspark Duisburg-Nord bestens genutzt. Durch Nebel und mit Orientierungsverlust ging es in den eigentlichen Aufführungsort mit ungewöhnlicher Sitzordnung, denn die Zuschauerbänke waren labyrinthartig angeordnet und nicht auf eine Bühne als Ziel gerichtet. Das machte Sinn, weil direkt mehrere Orchester, Soundtüftler, Dirigenten, Chöre, über hundert Akteure und Solisten im Raum verteilt auf Gerüsten waren, um den von Nono propagierten „bewegten Klang“ zu gewährleisten und gleichzeitig sich von etablierten Aufführungs- und Hörstrukturen zu lösen. Was dann folgte waren drei Stunden mal leise, mal spitze, nie zu epische Klangerfahrung, die die Irrfahrten des menschlichen Lebens und der Tragödie um den Kultur- und Weltenbringer Promoetheus ohne erkennbare traditionelle Narrationsstrukturen Rechnung trug. Nach einer Stunde akustischer und mentaler Wanderschaft war für mich bereits alles erzählt und ausexperimentiert, was der revolutionären Kraft des Stücks aber keinen Abbruch tut. „Prometeo“ ist Musik, bei der ich mir nicht anmaße, das ich sie gänzlich verstehe – zumindest nicht in den nächsten zwanzig Jahren. Aber auch das macht gute Musik aus. Dass sie neu ist, anders, ungehört. Musik die flasht, die irritiert, die zum Nachdenken und Neufühlen zwingt, dies hat man zu selten.