Bericht aus der Elektro-Hauptstadt
Sondermeldung aus der Hauptstadt Paris
Heute ist nur kurz aus Düsseldorf, der selbst ernannten Elektro-Hauptstadt über den Salon des Amateurs zu berichten. Allerdings nicht vor dem Hintergrund der Electri_City Conference, die Ende letzten Monats stattfand, sondern vor dem der schrecklichen Ereignisse des vergangenen Freitags in einer anderen Hauptstadt. Eigentlich sollte am Samstag im Salon Tomas More/ December aus Paris auflegen, aber der kann leider aufgrund der islamistischen Terroranschläge nicht nach Deutschland reisen. Der Klub wird trotzdem öffnen und es wird aufgelegt, „vielleicht weniger ausgelassen- Musik im Schatten des Terrors und gegen das herannahende Mittelalter“ heißt es auf der Facebookseite des Salons und das ist genau richtig so.
Doch wem galten diese Anschläge eigentlich? Frankreich ist die Hauptstadt Frankreichs und Frankreich bombardiert seit einiger Zeit gemeinsam mit den USA Stellungen des IS. Die ‚Logik’ nicht nur dieser Terroristen besagt, die bringen welche von uns um, dann bringen wir welche von denen um. Aber nicht französische Soldaten sind getroffen worden, da die Planungen für einen Anschlag in Toulon kurz zuvor aufflogen worden waren, sondern Bürger von Paris, die freitagabends unterwegs waren. Auf den Straßen der Stadt, in Bistros und Restaurants, rund um das Fußballländerspiel oder beim Konzert der Eagles Of Death Metal. Menschen, die ganz einfach das Pech hatten, zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen zu sein. Und zwar nicht als ,Kollateralschaden’, sondern bewusst in möglichst großer Zahl. Aber waren diese Bürger und Besucher von Paris wirklich an ‚falschen’ Orten? Keinesfalls. Allerdings waren sie an bewusst ausgewählten Orten, die laut radikal-islamistischer Überzeugung falsch sind und so hieß es in einer ersten Bekennerbotschaft eine „treue Gruppe der Armee des Kalifen“ habe die „Hauptstadt der Unzucht und Laster angegriffen“. Der Terrororganisation IS und ihren Verbündeten geht es also nicht nur darum, Syrien und den Irak in einen islamistischen Gottesstaat zu verwandeln, worauf ja auch die Namensänderung von ISIS zu IS hinweist. Aber dafür morden sie in Syrien und Irak zuerst. Und zwar in größter Zahl jene Muslime, die ihrer Meinung nach eine zu laxe Auffassung ihrer Religion haben. Dafür sprengen sie auch alles in die Luft, was ihrer Meinung nach ,unislamisch’ ist, selbst wenn das betreffende Gebäude schon lange vor dem Aufkommen des Islams erbaut worden ist, also gar nicht nach ,islamischen ’ Kriterien erricht werden konnte. Und sie sprengen andere historische Bauwerke, wie etwa Heiligenschreine, auch, wenn diese vor Jahrhunderten von Muslimen errichtet worden sind und seitdem als heilige Stätten besucht wurden. Dies hat IS in Syrien und dem Irak getan und Boko Haram in Nigeria ebenfalls. Der Name dieses IS-Verbündeten steht übrigens für „Books are Haram“, Bücher sind also im Sinne ihres Verständnisses des Islam ,unrein’ und verboten. Bekanntlich tut Boko Haram auch alles dafür, dass gerade junge Frauen keine Bildung bekommen, da ist man sich sogar mit den afghanischen Taliban einig. Wer gegen diese verschiedene Formen des islamistischen Terrors gegen Staaten, Menschen und ihre gelebte islamische und sonstige Kultur etwas unternimmt, riskiert, dass der Terror auch über ihn kommt. Das ist die Botschaft der aktuellen Anschläge von Paris.
Paris ist aber nicht nur die Hauptstadt Frankreichs, das unlängst in Syrien und Mali eingegriffen hat, sondern auch die Hauptstadt der europäischen Aufklärung und Moderne. Hier wurde 1789 deutlich gemacht, dass es keine angeblich gottgewollten Herrscher mehr geben kann und dass Systeme dieser Art durch Revolutionen veränderbar sind. Hier wurden erstmals die Menschenrechte als universale Rechte für alle Menschen proklamiert. Hier zeigten sich aber auch immer wieder die Verwerfungen und Problematiken des europäischen Projektes der Moderne. All dies ist durch Bücher verbreitet worden und gerade die Schriften der Aufklärer standen bis weit ins 19. Jahrhundert auf dem päpstlichen Index und es ist kein Wunder, dass Boko Haram alle Bücher außer dem einen, dem Koran für gefährlich hält, da sie die Menschen zum Nachdenken über Aussagen und Herrschaftsansprüche der Religionen bringen.
Zugleich ist Paris über lange Zeit die europäische Hauptstadt der Kunst und der Künstler und Zufluchtsort für Exilanten aller Art und Herkunft gewesen. Es ist immer wieder Kritik geübt worden an Aufklärung und Moderne, allerdings ist dies ja gerade konstitutiv für diesen Prozess und diese Epoche. Die Postmoderne ist skeptischer und das ist gut so. Aber sie gebar auch einen neuen Fundamentalismus, der für diejenigen attraktiv wurde, die sowieso schon immer gegen Aufklärung und Moderne gewesen waren oder deren Hoffnungen auf den Fortschritt enttäuscht worden sind. Das gilt für Syrien, die gesamte islamische Welt und für die Banlieue von Paris. Der Islamismus ist eine Gegenideologie und in radikalisierter Form hat diese mörderische Konsequenzen für alle, die auf die durch Menschenrechten verbürgten Freiheiten für sich bestehen. Der radikale Islamismus fordert bedingungslose Hingabe und Unterwerfung unter das, was er für den Islam hält, andernfalls wird in vermeintlich göttlicher Mission gebombt und geschossen. Es war der Aufklärer Voltaire, der einst zurecht anmerkte, dass für nichts so fanatisch gut gemordet (und auch gestorben) wird, wie für die Religion.
Und so waren bereits Anfang des Jahres in Paris erste Opfer des islamistischen Terrors zu vermelden: Die Zeichner von Charlie Hebdo, weil sie mit spitzer Feder Mohammed und seine selbst ernannten Nachfolger karikierten, der Polizist Achmed, der im Auftrag des säkularen Staates die Redaktion des Magazins schützen sollte, Juden, ganz einfach, weil sie Juden waren. Auch einer der aktuellen Anschläge hat vermutlich eine antisemitische Konnotation. Denn die Eagles of Death Metal verweigerten sich Forderungen, keine Auftritte in Israel zu machen. Dieses, angeblich immer nur pro-palästinensische, Anliegen wird übrigens auch immer wieder an DJs herangetragen und Gigs in Tel Aviv und anderen Städten können schon mal zu recht heftigen Diskussionen auf den Facebookseiten der Betroffenen führen. Aber es geht hier um wesentlich mehr, als um die politische Frage, ob man in Israel auftritt oder nicht. Denn die Freiheit der Kunst steht insgesamt auf dem Spiel, Namen wie Salman Rushdie oder Theo van Gogh machen dies deutlich. Die sogenannte islamische Republik Iran ist nicht nur bekannt für die Mord-Fatwa gegen den Autor der „Satanischen Verse“, grausame Menschenrechtsverletzungen und die Unterdrückung von Frauen, sondern auch ihre Musikverbote. Einige Islamisten gehen sogar noch weiter und behaupten, nicht nur westliche Musik und Solo-Frauengesang seien „haram“, sondern Musik und Tanz überhaupt.
Das erinnert dann tatsächlich an das Mittelalter, wo es auch in Europa neben Bücherverboten auch immer wieder zu diesbezüglichen theologischen Diskussionen um Musik gekommen ist. Unter anderem wurde die in Paris entwickelte mehrstimmige Ars Nova zeitweise mit einem päpstlichen Bann belegt, da sie die angeblich göttlich inspirierten Gregorianischen Gesänge lediglich als Basis von Menschenwerk nahm. Glücklicherweise konnte sich die europäische Musik von religiösen Vorgaben und Verboten emanzipieren und dadurch weiter entwickeln. Allerdings kam es dann zur Zeit der NS-Herrschaft zu noch massiveren Verfolgung von Musikern, Komponisten aufgrund rassistischer und politischer Kriterien. Im Düsseldorfer Ehrenhof (Ja, genau da, wo das Symposium der Electri_City Conference stattfand) debattierte die Elite der damaligen Musikwissenschaft über die Klassifizierung von Musik und eine Ausstellung war dem Thema ,Entartete Musik’ gewidmet. Dass diese angeblich ,Entartete Musik’ dem Wirken ,des Juden’, ,des Negers’ und Amerikas zugeschrieben worden ist, dürfte kaum überraschen.
Die experimentelle Neue Musik und seinerzeit auch kommerziell erfolgreiche Jazz galten als ,artfremd’ und gerade das gibt auch den Stilistiken, die sich daraus entwickelt haben (wie etwa Techno) einen zusätzlichen Gütesiegel. Auch heute noch lassen sich auf Nazi-Websites Beiträge mit rassistischen Musiktheorien finden und es sind durchaus Analogien zu islamistischen Diskursen erkennbar, zumal man sich in der Ablehnung des US-amerikanisch und angeblich ,jüdisch’ Kommerziellen einig ist. Der nächste Gig der Eagles of Death Metal sollte am Dienstag in Köln stattfinden, musste aber ebenso wie die ganze Tour abgesagt werden. Den Feinden der Offenen Gesellschaft geht es ums Ganze. Uns sollte es auch darum gehen! Die Anschläge von Paris galten nicht nur Frankreich und der Stadt, sondern uns allen, unserem Pluralismus, unseren Lebensstilen und unseren Freiheiten. Paris ist überall.
In den 1940er Jahren war Paris durch Pierre Schaeffer die Hauptstadt der Elektronischen Musik. Doch dieser Elektropionier betätigte sich nicht nur als Toningenieur und Komponist, sondern arbeitete auch aktiv in der Résistance gegen die NS-Beatzung mit. Das war mutig, lebensgefährlich und richtig. Am Freitag wurden gerade die Konzertbesucher der Eagles of Death Metal in Paris reihenweise hingerichtet, das war feige und ein schreckliches Verbrechen aus einer falschen Ideologie heraus. Weitere Konzerte dieser Band erscheinen für Musiker und Besucher als potentiell lebensgefährliches Unterfangen. Aber lassen wir uns das von radikalen Islamisten wirklich verbieten und von unserer Angst diktieren, wie wir leben?! Welche Band, welcher Klub, welche Zeitung ist als nächstes dran? Paris ist überall.