Artificial Intelligence – Ausstellung zu Kunst und künstlicher Intelligenz
Der erste Teil von Artificial Intelligence ist eine von Thibaut de Ryuter kuratierte Ausstellung, welche die Beziehung von künstlicher Intelligenz zu zeitgenössicher Kunst thematisiert. Thibaut de Ruyter ist kein Unbekannter im Dortmunder U und hat dort sowie in der Dortmunder Phoenix-Halle beim HMKV bereits zahlreiche Projekte kuratiert und beeindruckende Ausstellungsarchitekturen geschaffen. Die aktuelle Schau inszeniert die dritte Etage des ehemaligen Bierkühlschranks in präzis-warmen Licht und läßt viel Platz für Kunstwerke und Besucher. Im blau-weiß getauchten Raum geht es in vielen der Exponaten thematisch auf eine Reise zurück in die Geschichte der künstlichen Intelligenz.
Chris Marker und seine Installation „Dialector 6“ (1985-88), zeigt nicht nur den Programmiercode, der schon in den Anfangszeiten des Personal Computers eine Konversation zwischen User und Computer ermöglichte, sondern auch einen originalen Apple II-Computer mit dem entsprechenden Programm „Dialector“, das Besucher ausprobieren und mit dem sie sich mit der Computer-Intellingenz über die Tastatur unterhalten können.
Atmosphärisch passt auch das 1985 erschienene Album „Artificial Intelligence“ des Musikers und Komponisten John Cale von The Velvet Underground in die Ausstellung. Seiner Zeit gemäß benutzt das Werk Synthies und Drums der Achziger, was dann wohl die Berichtigung im Werkkatalog der Kunstschau legitimiert. Explizit um künstliche Intelligenz scheint es mir in dem Album eher weniger zu gehen.
Julien Prévieuxs Fotodrucke „L’Echiquier Sauvage“ (2013) bringt die erste Niederlage eines menschlichen Schachgroßmeisters gegen einen Schachcomputer im Jahr 1996 in eine poetische Form von Erdfeldern und weißen wie schwarzen Steinen; die Beziehung Mensch-Maschine herunter gebrochen auf die Dichotomie Natur und Kultur.
Die Arbeiten von Erik Bünger beeindrucken mich meist immer mit ihrem scharfen Blick auf ikonografisches Bewegtbildmaterial aus den Tiefen des kollektiven Bewusstseins, das von Bünger meist rekontextualisiert und an ihren diachronen Adern witzig bis entlarvend abgeschält wird. „The Girl Who Never Was“ (2014) erinnert im Titel an die Cohen-Brüder, ist aber mehr Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ und die Stimme Gottes, die aus der Bibel und zu Moses zu sprechen scheint. Ähnlich wie in Büngers „Gospels“ (2006) sind Sprache und Stimme das Motiv seiner Videoerzählung, welche durch die Mediengeschichte springt und die Relation zwischen Stimme und Maschine und so etwas wie Seele gleichsam unterhaltsam wie erhellend untersucht.
Auch Suzsanne Treister, deren Arbeiten 2012 im HMKV in einer Einzelausstellung zu sehen waren, sucht nach historischen Verdichtungen und Zusammenhängen von Technologie und Individuen im Kontext von Mediengeschichte, Gesellschaft und Macht. Ihre komplexen und an Verschwörungstheorien erinnernden Kartographien sind Bestandteil von „Hexen 2.0“ (2009-11), einer Serie, welche sich unter anderem Alan Touring und der Entwicklung künstlicher Intelligenz widmet.
Brendan Howell hat für die HMKV-Ausstellung die Website „www.ddai.de“ (2015) programmiert, die zugleich Ausstellungskatalog ist und auch weiterführendes Material und Kurioses zum Ausprobieren und Erforschen bereit hält.
Konzeptionel vielleicht die stärkste Arbeit der Ausstellung ist „Random Darknet Shopper – The Bot’s Collection“ (2015). Die !Mediengruppe Bitnik hat ein Computerprogramm entwickelt, das im sogenannten Deep Web oder auch Darknet, also in jenem Teil des Internets, das üblichen Suchmaschinen nicht zugänglich ist, mit einem Shopping-Roboter nach Zufallsprinzip Gegenstände kauft und liefern lässt.
Der zweite Teil von Artificial Intelligence ist eine von Dr. Inke Arns kuratierte Filmlounge, die ebenfalls auf der Ebene 3 des Dortmunder U zu sehen ist und sich mehr auf Zukunftstechnologien fokussiert. Die Lounge ist außerordentlich einladend und gemütlich – doch ist die Atmosphäre in den Werken nachdenklich, kritisch bis bemerkenswert verstörend, wie teilweise zu seiner Zeit in den HMKV-Ausstellungen noch in der Güntherstraße. Das mag daran liegen, dass viele der gezeigten Filme einen dystopischen Blick auf die Zukunft entwickeln und an ganz konkrete Erfahrungen und an ein Unbehagen in der aktuellen Kultur, an Ängste und Hoffnungen in den Gesellschaftssytemen, im Einzelnen – in seinem Inneren und an seinem Körper – konkret andocken.
Die britische TV-Serie „Black Mirror“ (2011) ist mit ihren sieben Folgen in der HMKV-Filmlounge vertreten. Plot, Setting und Narration der filmischen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen einer hochtechnologisierten Welt auf den Menschen sind das nachhaltig Erschreckenste, was ich seit Jahren in Filmbildern gesehen habe. Im Gespräch mit Kuratorin Dr. Inke Arns gestand sie mir, dass es ihr ähnlch gehe, was mich ein wenig beruhigt. Die Handlung der einzelnen Episoden sind nicht miteinander verknüpft und in sich abgeschlossen. Auch wenn die Beschreibung der Serie in diesem Text hier manchen eventuell ködern mag, so sollte man/frau sich vorher überlegen, ob man sich (spoiler) zum Beispiel der Tortur einer Fernsehübertragung eines von Entführern zum Live-Sex mit einem Schwein gezwungen Premierminsiters aussetzen möchte. Und das ist nur die erste Folge der Serie, die bereits in der dritten Staffel gedreht wird. Heavy stuff.
Wesentlich beschaulicher geht es im Video „GreenScreenRefrigeratorAction“ (2010) von Mark Leckey zur Sache. Ein intelligenter Samsung HiTech-Kühlschrank erzählt in dem Video aus seinem Inneren – also Textfragmente aus seiner Betriebsanleitung und schematische Darstellungen von inneren Prozessen, reizvoll erzählt und bebildert. Nicht nur der Mensch spricht mit seinen Maschinen, sondern auch die Maschine mit dem Menschen, Eine Maschine, die sich zu reflektieren scheint, durchbruchen von Textfragementen aus Schöpfungsmythen der Mayas.
Gar keine Fiktion mehr, sondern für 600 US-Dollar zu haben ist „Jibo: The World’s First Social Robot For The Home“ (2014), ein Roboter, wie der Filmlounge-Besucher in einem Clip erfährt, der erkennt, wer das Haus betritt und dementsprechende Versorgungs- und Kommunikationsereignisse einleitet. Anknüpfend daran ist auch der Clip „Realeyes – Emotional Intelligence“ (2014) zu sehen, in dem kleine, irgendwie fast schon niedliche Roboter vorgestellt werden, die menschliche Gefühle erkennen, lernen und interpretieren können. Faszinierend wie bedrohlich ist das Video „Robot Quadrotors Perform James Bond Theme“ (2012), das Drohnen in Flugsimulation zeigt, Roboter, die den Menschen im Haushalt helfen sollen, sind das Thema der schwedischen TV-Serie „Real Humans“ (2012-13), die in zehn Episoden in der Flimlounge zu sehen ist. Die Roboter sehen aus wie Menschen, es kommt zu Misstrauen, eigener Identitätsausbildung, Jagd und Widerstand zwischen Mensch und Maschine, welche die Titelmelodie von James Bond auf verschiedenen Musikinstrumenten spielen.
Mit der Ausstellung und Filmlounge „Artificial Intelligence“ knüpft der HMKV an seit Jahren von dieser international geschätzten Kunstinstitution propagierte Themen an: Stimme und Sprache in „His Masters Voice“, Maschinen in „Das mechanische Corps“, Internet in „Digitale Folklore“ – und da sind wir rein bei diesen Ausstellung nur im Jahr 2015. An der Naht von Medien, Technologie und neuester Kunst verliert der HMKV in Artifical Intelligence nicht den Bezug zur Gesellschaft und zum Menschen. Auch wenn die oftmals in der Philosophie der Gegenwart beliebte Diskursfigur Technik-Körper-Identität eine notwendige und große Rolle spielt, so spielt der HMKV nicht das Spiel mit mit der Auflösung des Menschlichen und wie Kunst dann aussehen könnte. Zum Glück, da viele Werke der bildenden Kunst sich ohnehin der populären Variante einer ohne Zweifel berechtigten Subjektkritik hingeben und sich alleine der Frage stellen, wie Kunst aussehen soll, die sich nicht mehr auf menschliche Subjektivität bezieht. Der HMKV bezieht durch Artificial Intelligence eine klare Position in der aktuellen Diskussion und verortet (Medien-)Technologie mit dem Subjekt, mit menschlichen Systemen. Das ist natürlich auch immer politisch und kritisch sowie hier gleichermaßen fernab von jeglicher dumpfen Fortschrittslogik oder flachem Kulturpessimismus.
Dabei ist Artificial Intelligence in mehrfacher Hinsicht benutzerfreundlich. Ab 16 Jahren ist die sehr gemütliche Filmlounge geöffnet, die Ausstellung ab 11 Uhr. Zu den Filmen, die auf Anfrage auch individuell ab einem bestimmten Punkt gestartet werden können, gibt es Getränke zum Selbstkostenpreis. Wer ein Mal da war, der kann sich ein Bändchen für das Zurückkommen und dann freien Wiedereintitt geben lassen. So smart und fluffig die Ausstellung die Ebene 3 vom HMKV mit Artificial Intelligence inszeniert worden ist, so tief und spannend sind die Inhalte – quasi wie die Filme („Her“, „Ex-Machina“ etc.), die glänzenden Oberflächen der Technik und die Mainstram-Debatte, an die Ausstellung und Lounge anknüpfen: Schön und warm irgendwie, aber dahinter existenziell. Und das macht der HMKV vortrefflich mit drei Sachen: Knowledge, Emotionen und Eiern.
Artificial Intelligence – Digitale Demenz
HMKV im Dortmunder U
14. November 2015 bis 6. März 2016
Di- So 11 – 18 Uhr
Do+Fr 11 bis 20 Uhr
Mo geschlossen
Eintritt: 5 Euro / 2,5 Euro erm.
Ausstellungsdaten:
http://www.hmkv.de/programm/programmpunkte/2015/Ausstellungen/2015_AID_Artifical_Intelligence_Digitale_Demenz.php
Weitere Info und Rahmenprogramm mit Workshops, Robotern, Führungen:
http://www.hmkv.de/_pdf/Presse/2015/AID/HMKV_Pressemappe_ArtificialIntelligence_de.pdf