Bericht aus der Elektro-Hauptstadt
Erster Konferenztag, Part I
Unterwegs nach Electri_City! Nicht mit dem Spacelab, sondern Station to Station mit dem frühen Regionalexpress. Denn auf der Strecke soll schon seit längerem ein Stellwerk ausgefallen sein, was zu regelmäßigen Verspätungen führt. Dann vorbei am DGB-Haus, einer privaten Musikakademie, Karstadt, C&A, Kaufhof, Electricity Schaffrath und einer Malschule. Ein Land und eine Stadt im Wandel. Die Schwerindustrie steckt schon lange ganz schwer in der Krise und auch die traditionellen Bereiche des Dienstleistungssektor kriseln vor sich hin- das nächste Kaufhaus schließt bestimmt! Den Ausweg sollen Creative Industries in Creative Cities bieten.
Im NRW-Forum wird heute denn auch irgendwie über Kreativität geredet. Aber über das dahinter stehende Business ebenfalls und so wird zunächst den Stadtwerken Düsseldorf und dem Amt für Wirtschaftförderung für Gelder gedankt und SSC/New Fall Festival für die Organisation der gesamten Veranstaltung. Der erste Konferenztag ist- wie könnte es anders sein- ganz den Düsseldorfer Fab Four von Kraftwerk gewidmet, wobei Johannes Ullmaier später am Rande zurecht anmerkt, dass diese eigentlich schon neoliberale Beschäftigungsverhältnisse unter der kreativen wie kommerziellen Federführung von Ralf und Florian in die Popmusik gebracht hatten. Das wissenschaftliche Symposium ist überhaupt erfreulich kritisch und so wird der unsäglichen Hauptstadtthese (Remember: Düsseldorf als Hauptstadt der Elektronischen Musik) auch gleich am Anfang durch Enno Stahl von der heimischen Heine-Universität der erste Wind aus den Segeln genommen. Da wollen wir doch wirklich lieber die Kirche im Dorf lassen!
Auch ansonsten wird der gebotenen akademischen Aufgabe nachgekommen und der Mythos Kraftwerk kritischen Re-lectures unterzogen. Eckhard Schuhmacher von der Uni Greifswald weist völlig zurecht auf die Funkyness von Hütter, Schneider & Co. hin sowie die transatlantischen musikalischen Ströme, die in beide Richtungen gingen. In Düsseldorf wurde James Brown rezipiert und integriert und in New York und Detroit dann neben Funk auch die funky gewordenen Kraftwerk. Trans Europa Express wird an dieser Stelle zum exemplarischen Beispiel und zur Analogie dieser Entwicklungen. Dem Ganze liegt das popmusikalische Grundprinzip von Re-make und Re-model zu Grunde, das nicht zufällig auch ein Titel auf der ersten Platte von Roxy Music ist.
Das die Medien immer an der Konstruktion von popmusikalischen Mythen beteiligt sind, liegt auf der Hand. Kraftwerk ,funktioniert’ ,laut Christoph Jacke, durch Hinlenkung und Ablenkung. Produkt, Image und die Künstlichkeit werden ausgestellt und dadurch von den realen Personen abgelenkt. Paradoxerweise bewirkt die Offenlegung des Artifiziellen jedoch eine neue Authentizität. Hinter der Maske der Maschinen erscheinen dann wieder die Menschen.
Auch Johannes Ullmaier sieht Kraftwerk als sehr menschlich und entwickelt angesichts einer Reihe bestehender Narrative ein alternatives: Ralf und Florian, die beiden Söhne aus gutem Haus wollten es unbedingt schaffen. Ihre ersten Jahre sieht Ullmaier denn auch als kreative „Ausweichmannöver“. Das Thema Jazz ist schon besetzt, ähnliches gilt für avantgardistische und esoterische Klänge. Überall sind bereits hohe Standards etwa von Gunther Hampel, Eberhard Schoener, Klaus Schulze, Conrad Schnitzler oder Can etabliert worden. Die beiden Kraftwerk-Macher finden dann ihre Nische im Elektro-Pop und bauen diese aus. Allerdings, so Ullmaier, bleiben sie auch hier Menschen, und erst der Mythos macht aus ihnen „die Ersten“ und „Götter“.
Zwischenstop, denn gleich geht wieder der Regionalexpress gen Electri_City. Lasst uns demnächst von der Düsseldorfer Schule reden!