Bericht aus der Elektro-Hauptstadt
Zweiter Konferenztag, Part I
Von unserem Gastautor Timor Kaul
Heute dann alles Neu! oder zumindest nicht mehr nur Kraftwerk, sondern auch noch DAF. Damit ist dann die heilige Dreifaltigkeit der auch international bekannteren Bands aus Düsseldorf benannt. Natürlich gab es gerade in den 80er Jahren noch andere, zum Beispiel die Fehlfarben, Der Plan, Die Krupps und auch Punkbands wie etwa den KFC. Doch bis auf die kommerziell erfolgreichen Toten Hosen sind die krachigen oder experimentellen Combos der Düsseldorfer Szene lediglich Eingeweihten bekannt. Dies gilt auch für die Nachfolgeprojekte von Neu!, obwohl La Düsseldorf seinerzeit durchaus angesagt gewesen war und Harmonia in Kooperation mit Brian Eno (oder eher doch bereits davor) den Ambient erfand. Dieses neue elektrifizierte Genre erblickte das Licht der Populären Musik jedoch nicht etwa in Düsseldorf, sondern in einer Landkommune in Forst im Weserbergland und hatte neben Düsseldorfer Geburtshilfe auf jeden Fall auch Berliner und vielleicht dann doch auch britische.
Die heilige Dreifaltigkeit des Krautrock, der britische Musikjournalist Simon Reynolds sprach in diesem Zusammenhang vom Triumvirat, besteht aus Neu!, Faust und Can. Auch die Domstadt hat also etwas zu bieten und die Elektronische Musik ist bekanntlich in einem Studio des dortigen WDR von Herbert Eimert und Karlheinz Stockhausen erfunden worden. Natürlich lässt sich dann durch Holger Czukay und Irmin Schmidt, die beide Schüler Stockhausens waren, eine Verbindung zu Can herleiten. Und hat Köln dann mit Kompakt nicht auch ein Label, das den Sound of Cologne weltweit verbreitet hat? Das könnte sicherlich eine weitere, konkurrierende und zumindest vor Ort plausibel klingende Electri_City-Saga ergeben. Allerdings müsste man dann ausblenden, dass Stockhausen einst zu Pierre Schaefer nach Paris gepilgert war, um überhaupt die ersten Kompositionsversuche in Sachen Elektronik zu unternehmen und seine eigenen Werke erst später mit dem Begriff Elektronische Musik von der französischen Musique Concrète abgrenzte. Darüber hinaus waren in der Zeit, als in Düsseldorf wirklich wichtige Schritte in Richtung elektronische Popularmusik erfolgten, in Köln dann schon eher BAP oder auch Zeltinger angesagt. Mythen können wohl erst entstehen, wenn man gewisse Aspekte der Geschichte nicht beachtet und bestimmte Begrifflichkeiten wie ,Hauptstadt` oder auch ,elektronische Musik´ belegt, okkupiert sozusagen. Dass Elektronische Musik, elektronische Musik und elektronische Popularmusik keinesfalls dasselbe meint, darf eigentlich kaum noch jemanden interessieren, wenn man denn unbedingt ,Hauptstadt der elektronischen Musik’ werden will.
Aber Mythen werden nicht nur vor Ort produziert, sondern auch aus der Außenperspektive. Und so referierte der Brite David Stubbs beim Symposium der Electri_City Conference über den Dinger-Beat und die Motorik von Neu!. Auf assoziativer Ebene mag die Verbindung zwischen sogenannter Motorik und der Monotonie deutscher Autobahnen vielleicht plausibel erscheinen, wenn auch nur bedingt zwingend. Doch was unterscheidet den Beat Klaus Dingers und das Gitarren-Geschrammel Michael Rothers auf den Alben von Neu! wirklich substantiell von anderen straighten Rock-Beats wie etwa bei „Waiting For The Man“ (Velvet Underground)? Also, ich mag beides sehr, aber als „from the scratch“, so Mr. Stubbs, kann man die Musik von Neu! wohl kaum bezeichnen, trotz genialem Namen, ebensolchen Covers und zeitlos guten Alben.
Eine besonders aufschlussreiche Form der sogenannten Motorik lässt sich übrigens bei Faust finden, die mit dem Titel Krautrock gegen das diffamierende Genre-Label protestierten und sich über die Vorstellungen der Engländer bezüglich der Rockmusik aus Deutschland lustig machten. Diese Band residierte ebenfalls in einer ländlichen Kommune in Wümme bei Bremen- Nein, liebe Rheinländer, das ist leider weder Düsseldorf, noch Köln, noch nicht einmal nahe Köln wie das Can-Studio in Weilerswist und so funktioniert auch keine rheinische Saga elektronisch Popmusik wirklich. Faust integrierte unter vielen anderen Versatzstücken auch musique concrète in ihren Sound, startete also auch keinesfalls „from the scratch“, ist aber trotzdem ebenfalls hörenswert und irgendwie auch cool. Heiße Hippie-Scheiße eben und vielleicht hat Dr. Stephen Mallinder ja recht, wenn er in seinem Vortrag ausführte, dass in den 70ern deutsche Hippies viel cooler waren als die britischen. Möglich ist allerdings auch, dass es sich dabei um eine germanophile Projektion handelt, denn das Gründungsmitglied von Cabaret Voltaire mochte fast alles deutsche: Krautrock, Can, Tangerine Dream, Joseph Beuys, Wim Wenders, Werner Herzog, Fritz Lang, Klaus Kinski, Berthold Brecht und Kurt Weill, Andreas Baader und Ulrike Meinhof, …
DAF brachte dann die Radikalität, den Rock, den Schweiß, den Sex und die Drogen in den Düsseldorfer Elektro-Sound und das klingt dann doch mal nach einer echt spannenden Fortsetzung… stay tuned!