Fight The Power
HMKV-Ausstellung „Whistleblower & Vigilanten“
Mit der aktuellen Ausstellung „Whistleblower & Vigilanten – Figuren des digitalen Widerstands“, die noch bis zum 14. August 2016 im Dortmunder U zu sehen sein wird, ist der Hartware MedienKunstVerein (HMKV) mal wieder hochaktuell in der künstlerischen Diskussion gesellschaftsrelevanter Fragestellungen unterwegs.
Spätestens seitdem die sogenannten Panama Papers mit 11.5 Millionen Computerdokumenten von Politikern, Geschäftsführern und einflussreichen wie bekannten Personen anonym aus der Offshore-Firma Mossack Fonseca an die Süddeutsche Zeitung verkauft worden und damit Namen und Machenschaften publik geworden sind, die nicht nur auf Steuerhinterziehung, sondern auch auf Finanzierung von Krieg und Terror verweisen, ist das Ausstellungsthema in aller Munde. Die Diskussion wurde Anfang April weiter gefüttert als personenbezogene Daten von 49 Millionen türkischen Wählern im Internet aufgetauchten. Aber das Thema hat natürlich auch eine Tradition, auch in der Allgemeinheit. Die Edward Snowden-Doku „Citizenfour“ gewann 2014 einen Oscar, Julian Assange und Wikileaks verkaufen von ihren Büchern beachtlich hohe Auflagen und Anonymous sind längst zum Pop-Phänomen geworden.
Die von Dr. Inke Arns und Jens Kabisch kuratierte Ausstellung ist jedoch viel präziser auf der Spur danach, was hinter radikalem Online-Aktivismus steckt, was Whistleblower, Hacker und Künstler in der digitalen Welt antreibt und wogegen sie wodurch und auf welcher Legititmations- und Rechtsvorstellung Position beziehen. Dabei widerlegen die beiden Kuratoren erneut das unhaltbare Ressentiment gegenüber Medienkunst, dass diese unverständlich sei. „Whistleblower & Vigilanten“ ist didaktisch perfekt mit 32 ausdrucksstarken und wichtigen Kunstwerken zusammengestellt, erklärend geordnet und vermittelnd inszeniert. Zu sehen gibt es Dias, Filme, Briefe, Fotos, Internetseiten, Bücher, Grafiken, eine gewebte Decke, Wandtapeten, Rauminstallationen, Aufnäher, Schilder, ganze Dokus, Zeichnungen, Graffiti, einen modifizierten Getränkeautomaten und eine Telefonbox zum Anrufen der Geheimdienste (funktioniert wirklich) und mehr. Allein schon das Spektrum der angebotenen Medien und dazu die inhaltliche Vielfalt der Ausstellung geben dem Thema sehr abwechslungsreiche und spannende Nuancen, ohne dabei die vom HMKV gewohnte kritische Smartness zu verlassen.
Die wunderbar klare Bildsprache der preisgekrönten Dortmunder Design-Schmiede labor b leitet in der Kennzeichnung von Ausstellungsabschnitten, die sich nach den jeweiligen Gründen für Widerstand richten, wie „Naturrecht“ (ein höheres Recht ist dem aktuell herrschenden Recht übergeordnet), „Kontraktualismus“ (gewählter Repräsentant der Allgemeinheit darf entmachtet werden), „Antinominismus“ (generelles Ablehnen von Gesetzen), „Transparenz“ (intersubjektiv nachvollziehbare und kontrollierbare Optimierung der Gesellschaftsordnung durch diejenigen mit den besten Werkzeugen und Fähigkeiten), „Technikkritik“ (Kritik an der Technologisierung der Gesellschaft) und „Vigilantismus“ (Stabilisierung der rein subjektiven Lebenswirklichkeit mit subjektivem Rechtsempfinden) durch die helle und großzügige Fläche auf der dritten Etage des Dortmunder U, wo der HMKV seit 2010 seine neue Heimat gefunden hat.
Wer genug Zeit mitbringt, sollte sich in die vielen Filme vertiefen, die in „Whistleblower & Vigilanten“ gezeigt werden. Besonders intensiv hierbei ist der 30-minütige Film „5.000 Feet is the Best“ von Omer Fast, dem wohl bekanntesten Künstler in der Ausstellung. Fast kombiniert Audioaufnahmen aus einem Interview mit einem Jagddrohnenpiloten mit nachgestellten, spielfilmartigen Sequenzen, welche die psychologische und körperliche Gewalt von Drohnenkriegen inklusive ihrer Auswirkungen nachdrücklich erfahrbar machen.
Fassbar werden Strukturen von Macht, Überwachung und Gewalt auch in Trevor Paglens hervorragenden Werken „Five Classified Aircraft / Five Classified Squadrons“ und „Code Names: Classified Military and Intelligence Programs“, die von der Idee und Recherche Paglens leben, Abzeichen und Codenamen geheimer Militäreinheiten zu organisieren, sichtbar zu machen und auszustellen.
Die ganz neue Arbeit des Peng! Collective „Intelexit: Call-A-Spy“ zeigt nicht nur die bekannten Aktionen des Berliner Kollektivs, die NSA-, BND- und GCHQ-Mitarbeitern zum Berufsausstieg verhelfen sollen, sondern auch eine Telefonzelle mit der Ausstellungsbesucher – nach Lesen von Verhaltensratschlägen – anonym und direkt bei Geheimdienstmitarbeitern anrufen können.
Emotional wird es in John Perry Barlow knapp zehnminütigem Film „Declaration of the Independence of Cyberspace“, in welchem Barlow sein bereits 1996 verfasstes und nun leider noch dringlicher gewordenes Manifest für ein Internet als Reich der Zivilisation vorliest. Unterhaltsam und gleichermaßen informativ wie historisch ist das Julian Assange-Gespräch im Video „The World Tomorrow: Slavoj Zizek & David Horowitz“, nicht zuletzt wegen Zizeks bekannter Präsenz. Wie Whistleblower vom amerikanischen Rechtssystem bekämpft werden, das erzählen die acht Videos „War On Whistleblowers“, die von Kurator Jens Kabisch
zusammengestellt worden sind. Erklärend ist ebenfalls die im Durchgang leicht zu übersehende grafische Dokumentation „Toywar“ von etoy über den virtuellen Krieg im 1990 noch jungen World Wide Web, in dem die Künstlergruppe etoy den Aktienwert eines Spielzeughandels um 4,5 Millionen Dollar schmälerte – und somit die teuerste Performance der Kunstgeschichte abzog. Die „Programme des NSA“ und dahinter liegende Strukturen der NSA kennzeichnet Edward Snowden in seinen geleakten von labor b grafisch umgesetzten Dokumenten. Die Grafiken zeigen, wie die Massenüberwachung amerikanischer BürgerInnen organisiert ist.
UBERMORGEN.COM waren schon in mehreren HMKV-Ausstellung präsent und zeigen ihre Internetseite „Vote-Auction“, auf der man/frau angeblich seine Stimme zur Wahl des US-Präsidenten verkaufen konnte. Noch radikaler geht es bei den Kollegen von lulz zur Sache, die auf der Wandtapete „I did it for teh lulz“ eine Auswahl ihrer viral gewordenen, grenzüberschreitenden Bildern zeigen, welche konventionelle Komfortzonen zerstören wollen. Bedrückend wirken die vom kanadischen Videokünstler Dominic Gagnon montierten Kollagen von auf YouTube geäußerten und zensierten Verschwörungstheorien und fanatischen Ansprachen. „Places and Love All to Hell“ und „RIP in Pieces America“ werfen die Frage auf, wo Paranoia anfängt und was im Netz veröffentlicht werden darf. Strategien einer Internet-Hasskultur, vom Cyberbullying über den Revenge Porn, zeigt die Internetseite „Viral Hate“ auf und fordert zum aktiven Widerstand gegen Hassaktionen im Netz und bietet Gegen- und Abwehrmaßnahmen ein Forum (www.talkbacktohate.org). Wie eine Internetseite Teil einer Ausstellung wird und gezeigt werden kann, das ist eine schwieige Sache. Aber wie ist das rassistische Geständnis eines Massenmörders zu zeigen, wenn man/frau dies denn für notwendig erachtet? Milo Rau und das International Institute Of Political Murder (IIPM) wählen in „Breiviks Erklärung“ den Weg des distanzierten dokumentarischen Theaters, das in einer fast 80-minütigen Aufzeichnung ebenfalls Teil der Ausstellung ist. Ein Hammer verweist im Eingangsbereich von „Whistleblower & Vigilanten“ auf die Ludditen, die Anfang des 19. Jahrhunderts als Maschinenstürmer die englischen Webstuhlanlagen mit Hämmern zerstörten, damit ihre Arbeitskraft nicht ausgebeutet werden konnte. Effektiv und brutal sind die gezielten Tötungen in „The Drone Papers“, einem nachhaltig verstörenden Video mit Drohnen-Bild und Tonaufnahmen von sogenannten signature strikes, „in denen menschliche Ziele anhand von Metadaten (zum Beispiel verdächtigen Bewegungsprofilen) ausgewählt werden (Kabisch). Gewalt von Seiten des Individuums gegen die Gesellschaft greifen dann als Thema die Briefe des ehemaligen Mathematikprofessors und Briefbombenattentäters Theodore Kaczynski a.k.a. „Unabomber“ eindringlich auf.
„Whistleblower & Vigilanten“ gelingt eine so bis jetzt wahrscheinlich noch nicht dagewesene Übersicht und Aufklärung zum hochaktuellen Thema des Widerstands im digitalen Zeitalter. Als weiterer großer Verdienst gelingt es Inke Arns und Jens Kabisch sich dem Thema deskriptiv zu nähern – ohne sich dabei zu sehr in historischer Betrachtung zu verlieren oder gar pejorativ zu werden. Zudem liefern sie eine stringente Ordnungsstruktur der Betrachtung von individuellen Psychologien des Widerstands, seiner Mittel wie Rechtsverständnisse. Der HMKV ist im Thema: Das Netz und Netzkritik, Widerstand und die Beziehung zum Digitalen sind seit 1997 in den Ausstellungen präsent, wie in „No One Ever Dies, No One Has A Head“ (2001), „Kontrollfelder“ (2002), „UBERMORGEN.COM“ (2006), „Anna Kournikova Deleted By Memeright Trusted System – Kunst im Zeitalter des Geistigen Eigentums“ (2008), um nur einige zu nennen. Weitere Info zur aktuellen Ausstellung „Whistleblower & Vigilanten – Figuren des digitalen Widerstands“ und zum großen Rahmenprogramm gibt es unter http://www.hmkv.de/programm/programmpunkte/2016/Ausstellungen/2016_VIGI_Vigilanten.php.