Das Dortmunder Hafenquartier – Volle Kraft voraus mit angezogener Handbremse
Dash hat sich mal in der Gegend rings um den Dortmunder Hafen umgeschaut. Kreativ-Viertel oder Ausgehmeile? oder keins von beidem?
Das Hafenquartier am Rande der Dortmunder Nordstadt ist eines der spannendsten Viertel des Reviers. Zwar stocken die Pläne von Verwaltung und Stadtmanagern, doch kulturelle Akteure machen vor, wie man über Jahre gewachsene, selbst organisierte Strukturen für Aufbruchstimmung und frischen Flair nutzen kann.
Pläne, Projekte und Polemiken rund um die Speicher und Silos, Kräne und Container gab es schon viele im Quartier zwischen Containerhafen und Schützenstraße, Fredenbaumpark und Hauptbahnhof. Alles also beim Alten am Hafenbecken? Nicht so ganz, denn immer mehr Nachtschwärmer zieht es in die Hafengegend. Grund dafür sind neue und traditionsreiche Orte, die zusammen ein unabhängiges Kultur-, Kunst-, Kneipen – und Clubprogramm anbieten.
Quartier Speicherstraße
An der Speicherstraße hat sich eine neue Ausgeh-Achse mit Projektspeicher, Tyde Studios und Herr Walter gebildet. An der Hausnummer 33 findet man ein Kunst- und Kommunikationszentrum, das der Kreativwirtschaft einen Anker zuwerfen möchte. Software-Entwickler und Designer führen das Gebäude und stellen es als Werkstatt, Ausstellungsfläche, Veranstaltungsraum und Projektplatz in zwei Etagen Künstlern und jungen Unternehmen zur Verfügung. „Besonders wichtig ist uns die Förderung und die Vernetzung von Menschen“, unterstreicht der ehemalige Jugendarbeiter Roland Brose, einer von zwei Geschäftsführern, welche die Firma Mausbrand und den Projektspeicher leiten. Den gewölbeartigen Keller des historischen Projektspeichers am kopfsteingepflasterten Abschnitt der Speicherstraße nutzt Export 33, eine Gruppe von Studenten der FH Dortmund, die mit Institutionen, wie der Zukunftsakademie NRW, unlängst beim arabischen Kulturfestival „Huna/k“ eine Ausstellung präsentiert hat. Zudem wird hier zeitgenössische Kunst aus der Region und außerhalb der ansässigen Kunstschulen gefördert sowie Live-Konzerte und Partys mit Disco, Drum & Bass, Worldmusic, elektronischer und handgemachter Musik präsentiert. Der
Projektspeicher und Export 33 sind als Kulturplattform komplett privat finanziert. Das Gebäude wird zur Zeit weiter umgebaut, der Keller schalloptimiert, die Etagen auf den neuesten technischen Stand gebracht.
Das Leben zwischen Altem Hafenamt und Schiffslöschungen ist nicht nur für Touristen, Angler und Start-Up-Unternehmen interessant, sondern auch für Anleger, die Geld statt einen Bootsschein haben. Der Dortmunder Hafen ist mit seinem Container Terminal einer der bedeutendsten Hinterland-Häfen Europas. Wirtschaftlich brummt es. Denn der Hafenbetreiber tummelt sich erfolgreich im Börsengewässer und freut sich über einen Schiffsgüterumschlag, der in 2014 um ein Viertel gestiegen ist, mit transportierten Mengen von 5.7 Tonnen, dies meist normale Gebrauchsgüter, welche rund um die Uhr an den zehn Hafenbecken verladen werden. „Bei denen läuft’s. Warum sollen die Hafen AG was ändern. Ich glaube eher, dass die gar nicht wollen, das hier neue Sachen passieren“, meint Hafenbewohner André Rother vom Musik- und Kulturkollektiv Maschinerie aus dem Umfeld der Off-Location-Partymacher von All The Time.
Die Leerstände im Hafen, vor allem an der Speicherstraße, sind gefragt. Gerne würde auch die Maschinerie hier kreative Gänge einlegen, doch viele der Gebäude werden als Lager genutzt, wie vom benachbarten Reifenhändler. Wenn die Mietverträge 2017 respektive 2021 auslaufen, dann erhoffen sich viele Kreative eine Chance auf die begehrten Räumlichkeiten. Ein neu gegründetes Magazin der Hafen AG propagiert die Umsetzung der Speicherstraße zu einer „Speicherstadt“ mit Büros und Platz für die Kreativwirtschaft. Die Stadt hat mit dem bis jetzt noch abstraktem Programm „Nordwärts“ beschlossen die nördlichen Dortmunder Stadtteile mit Investitionen in den kommenden zehn Jahren zu stärken. Ähnliche Beschlüsse gab es schon öfters. Von einer Vergnügungsmeile Hafen ist Dortmund jedoch weit entfernt, den es gibt weder einen Investor noch einen städtebaulichen Entwurf, zwei Pferde, auf die Stadt Dortmund zuvor gesetzt hatte. Vielleicht hat dies zum Glück nicht funktioniert, den so hat die kreative und subkulturelle Szene bis jetzt genug Zeit gehabt, um Eigenes zu schaffen. Die Stadt möchte mittlerweile auf jeden Fall keine steife Amüsiermeile mehr an der Speicherstraße. Stattdessen soll Parzelle für Parzelle untersucht werden, welches Haus saniert oder abgerissen werden muss, welche Kanal- und Sraßenbaumaßnahmen für eine Um- oder Neunutzung in der Speicherstraße nötig sind. Das funktionierende und wichtige Industriegebiet herum soll erhalten bleiben. Oliver Buschmann fordet hingegen weitere Privatinitiative und meint: „Es gibt hier noch zu wenige kreative Umsetzungen von Ideen. Dabei wären noch etliche Möglichkeiten orhanden. Nicht warten, einfach machen“, und ergänzt: „Das Leben am Kanal boomt. In anderen Städten ist das ganz normal. Und Dortmund hat hier noch Freiflächen und Leerstände. Ich würde mich freuen, wenn sich hier noch der ein oder andere Kollege ansiedeln dürfen. Kultur und Industrie, das ergänzt sich hier wunderbar. Nicht so aufgeräumt wie im Duisburger Innenhafen, aber genau das macht hier die wunderbare Faszination aus.“
Projektspeicher mit Export 33(c) Andrea Eichardt
Reingehängt, das hat sich auch Oliver Buschmann. Seit über 30 Jahren schreibt er die Clubgeschichte des Ruhrgebiets mit. Nach legendären Nächten in der Live-Station im Dortmunder Hauptbahnhof hat es ihn in den Hafen gezogen. An der Speicherstraße 90 liegt sein Schiff Herr Walter vor Anker, das ein starkes Musik- und Kulturprogramm sowie den schönsten Sandstrand der Stadt bietet. „Ich habe ein umgebautes Schüttgüterschiff wieder fit gemacht, das Jahre lang als Schleppkahn gedient hat“, berichtet Oliver Buschmann. Die Location ist nicht nur als Lounge- und Ausflugsziel mit bis zu 1000 Besuchern bei gutem Wetter pro Tag beliebt, sondern als Musik- und Kulturlocation einzigartig. Im Schiffsrumpf gibt es erfolgreiche Partyreihen mit Sounds von Drum & Bass bis Swing und Dub-Reggae.
Die ehemalige Seilerei unter dem Alten Hafenamt ist mit Eröffnung der Tyde Studios, Matthiesstraße 16, saniert worden. Seit ein paar Monaten ist der sympathische Hang-Out an der Wasserkante mit Partys zwischen HipHop, Techno, House und Funk unterwegs. Besonders spannend sind die regelmäßig stattfindenden Festivals, die Konzerte mit Kleinkunst, DJ-Sets und Poesie verbinden. Tagsüber gibt es im Tyde Pilates, Yoga, gesundes Frühstück und vegane Küche. Zu Poetry Slams, Filmvorführungen, Ausstellungen und Konzerten sollen demnächst regelmäßiges Vinyl-Stöbern sowie Workshops in der oberen Etage des Tyde dazukommen.
Das Leben zwischen Altem Hafenamt und Schiffslöschungen ist nicht nur für Touristen, Angler und Start-Up-Unternehmen interessant, sondern auch für Anleger, die Geld statt einen Bootsschein haben. Der Dortmunder Hafen ist mit seinem Container Terminal einer der bedeutendsten Hinterland-Häfen Europas. Wirtschaftlich brummt es. Denn der Hafenbetreiber tummelt sich erfolgreich im Börsengewässer und freut sich über einen Schiffsgüterumschlag, der in 2014 um ein Viertel gestiegen ist, mit transportierten Mengen von 5.7 Tonnen, dies meist normale Gebrauchsgüter, welche rund um die Uhr an den zehn Hafenbecken verladen werden. „Bei denen läuft’s. Warum sollen die Hafen AG was ändern. Ich glaube eher, dass die gar nicht wollen, das hier neue Sachen passieren“, meint Hafenbewohner André Rother vom Musik- und Kulturkollektiv Maschinerie aus dem Umfeld der Off-Location-Partymacher von All The Time.
Nicht so aufgeräumt wie im Duisburger Innenhafen, aber genau das macht hier die wunderbare Faszination aus.(Oliver Buschmann / Herr Walter)
Die Leerstände im Hafen, vor allem an der Speicherstraße, sind gefragt. Gerne würde auch die Maschinerie hier kreative Gänge einlegen, doch viele der Gebäude werden als Lager genutzt, wie vom benachbarten Reifenhändler. Wenn die Mietverträge 2017 respektive 2021 auslaufen, dann erhoffen sich viele Kreative eine Chance auf die begehrten Räumlichkeiten. Ein neu gegründetes Magazin der Hafen AG propagiert die Umsetzung der Speicherstraße zu einer „Speicherstadt“ mit Büros und Platz für die Kreativwirtschaft. Die Stadt hat mit dem bis jetzt noch abstraktem Programm „Nordwärts“ beschlossen die nördlichen Dortmunder Stadtteile mit Investitionen in den kommenden zehn Jahren zu stärken. Ähnliche Beschlüsse gab es schon öfters. Von einer Vergnügungsmeile Hafen ist Dortmund jedoch weit entfernt, den es gibt weder einen Investor noch einen städtebaulichen Entwurf, zwei Pferde, auf die Stadt Dortmund zuvor gesetzt hatte. Vielleicht hat dies zum Glück nicht funktioniert, den so hat die kreative und subkulturelle Szene bis jetzt genug Zeit gehabt, um Eigenes zu schaffen. Die Stadt möchte mittlerweile auf jeden Fall keine steife Amüsiermeile mehr an der Speicherstraße. Stattdessen soll Parzelle für Parzelle untersucht werden, welches Haus saniert oder abgerissen werden muss, welche Kanal- und Sraßenbaumaßnahmen für eine Um- oder Neunutzung in der Speicherstraße nötig sind. Das funktionierende und wichtige Industriegebiet herum soll erhalten bleiben. Oliver Buschmann fordet hingegen weitere Privatinitiative und meint: „Es gibt hier noch zu wenige kreative Umsetzungen von Ideen. Dabei wären noch etliche Möglichkeiten orhanden. Nicht warten, einfach machen“, und ergänzt: „Das Leben am Kanal boomt. In anderen Städten ist das ganz normal. Und Dortmund hat hier noch Freiflächen und Leerstände. Ich würde mich freuen, wenn sich hier noch der ein oder andere Kollege ansiedeln dürfen. Kultur und Industrie, das ergänzt sich hier wunderbar. Nicht so aufgeräumt wie im Duisburger Innenhafen, aber genau das macht hier die wunderbare Faszination aus.“
Quartier Gneisenaustraße
Eine weitere Ausgeh-Achse liegt an der Gneisenaustraße. Seit etwas über zwei Jahren gehört der Rekorder, Gneisenaustraße 55, dazu und bietet in den Räumlichkeiten einer ehemaligen und gemütlich verwinkelten Kneipe mit Veranstaltungskeller ein Programm zwischen Lesungen, Folk-, Indie- und Electronica-Konzerten, HipHop- und Clubmusik-Partys, Kleinkunst und Freakzeug. „Wir mögen es, wenn auch mal was Unerwartetes, was Absurdes passiert – wie bei unserer Veranstaltung Künstlerwundertüte“, sinniert der Rapper Schlakks vom Tonbande-Verein, der den mittwochs sowie bis sechs Mal im Monat geöffneten Rekorder organisiert. Mit seinem Konzept, getragen von Künstlern, DJs, Aktivisten und Musikern als Vereinsmitgliedern, hat sich der Rekorder ein eigenes und junges Stammpublikum erspielt und die Stadt ist an Kooperationen interessiert. Schlakks schiebt ein: „Wenn wir ein Zehntel der Förderung erhalten würden, die andere Kulturschaffende bekommen, dann könnten wir den Rekorder ein Jahr lang schmeißen. Wir wünschen uns immer noch mehr Akzeptanz für die freie Kulturszene.“
Rekorder (c) Tonbande
Längst akzeptiert seit Jahrzehnten ist gegenüber die Hafenschänke subrosa, eine subkulturelle Hafen-Institution nach Vorbild des Hamburger Golden Pudel Clubs. Indie, Gitarre, Underground-Pop, Folk und Fußball in einer Atmosphäre, die sich Bernd Begemann ausgedacht haben könnte, sind Teil der Legende. Mit Gitarren hat auch Rockaway Beat ein paar Türen weiter an der Hausnummer 61 zu tun. Bernd Stähler verkauft im urigen Ambiente mit 60er Jahre-Küche, Linoleumboden, Flash Gordon-Flipper und Automaten aus einer anderen Zeit Retro-Gitarren. Kaffee und Klampfen sowie einen Hafen-Haselnuss-Likör gibt es dienstags und freitags zwischen 13 und 19 Uhr sowie regelmäßig Konzerte mit lokalen Helden aus der Indie- und Rockszene. Schauspiel und Kleinkunst von Brecht über Frida Kahlo bis zu Rilke gibt es freitags und samstags im charmanten Roto Theater in der Gneisenaustraße 30. Nicht zu vergessen: Das Sissikingkong ein paar Meter weiter in der Landwehrstraße 17, mit der gleichermaßen lässigsten und stylischsten Atmosphäre der Stadt für gute Küche und popkulturell geschulten Thekensport. In der ehemaligen Kegelbahn gibt es außerdem Indiekonzerte, Lesungen und Trashmusikpartys.
Weitere Spots: Vom Kirchenschiff zum Straßenbahndepot
Unweit vom Sissikingkong befindet sich das Künstlerhaus im Sunderweg 1. Der nicht-kommerzielle Kunstraum präsentiert wechselnde Ausstellungen aus den Bereichen zeitgenössischer und experimenteller Kunst. Für Konzerte, besonders aus dem Bereich Folk-, Pop- und Indie, ist die Pauluskirche an der Schützenstraße 35, mit seinen stimmigen Lichtinszenierungen eine gute Adresse. Auf dem Weg Richtung Fredenbaumpark, tagsüber ein beliebtes Ausflugsziel und eine der grünen Lungen der Nordstadt mit Anbindung zum Kanal, kommt man an Tanken, Eckkneipen und
Imbissen vorbei, an denen sich auch spät in der Nacht noch verpflegt werden kann. Das Depot am Ende der Schützenstraße ist einst als eine Straßenbahnhalle genutzt worden und dient nun als Halle für Ateliers, das Kino sweetSixteen mit Independent-Filmen und Klassikern sowie als Heimat für Theater, Kleinkunst und Trödelmärkte, die hier auch bis in die Nacht hinein stattfinden, und gibt der Gastronomie Depothek, Immermannstraße 29, Raum für
Speisen im industriell großzügigen Ambiente. Wieder in Nähe der Hafenbecken angekommen, ist ein weiterer Geheimtipp der leider nur werktags von 7 Uhr bis nachmittags geöffnete Trucker-Imbiss Zur Hafenschänke in der Kanalstraße, in dem man ohne Probleme Dialoge und Atmosphäre aus „Der Fahnder“ und „Auf Achse“ nacherleben kann.
Auf Fahrt trotz Untiefen
Wer im Hafenviertel wohnt, der kann auch schnell die anderen Zentren der Nordstadt zu Fuß oder mit der Bahn erreichen oder sich eine Auszeit in den Grünanlagen, am Wasser oder im ruhigen Fredenbaumpark gönnen. Auch die Verkehrslage des Ausgehquartiers ist besser, als viele denken. Links und rechts von der U-Bahnstation Hafen (fünf Minuten vom Hauptbahnhof mit der U47 oder U49) sind die meisten Spots fußläufig in fünf bis zehn Minuten zu erreichen, die Auf- und Abfahrt Hafen der A45 liegt direkt am Hafenbecken und Abzweig Speicherstraße. Spätestens beim alljährlichen Hafenspaziergang-Festival strömen die Besucher aus anderen Städten und Quartieren in die Hafengegend. Manch einer zieht auch direkt ins Viertel. „Von einer Gentrifizierung sind wir aber noch weit entfernt“, meint Schlakks, der das Programm im Rekorder macht und dieses Semester an der TU Dortmund den Bereich freie Kultur unterrichtet.
Andere Anwohner berichten hingegen davon, dass Hinzugezogene betonen, die den aufkeimenden Hipnessfaktor der Hafengegend schätzen, eben nicht in der Nordstadt, sondern im Hafenviertel zu leben. Etwas ruhiger zur Sache als an Münsterstraße oder Borsigplatz geht es sicher schon im Hafenviertel – gleichwohl befindet man sich in der Nordstadt, ist Teil der multikulturellen Gesellschaft. Wer Hipness will, aber keine Sichtbarkeit von anderen Kulturen, der ist hier falsch. Über den Winter gehen Wohnschiffe im Schmiedingshafen vor Anker, welche Flüchtlingen eine warme Übergangunterkunft geben sollen. Im Hafen gibt es genug Platz. Für Kultur, Andersdenkende und Freigeister. Und genau das macht das Quartier mit seinen immer wieder neu aufkeimenden Spots und frischen Ideen zu einem der spannendsten Viertel der Region – oder wie es Rapper Schlakks sagt: „Das kreative Herz liegt im Hafen.“
Rekorder (c) Tonbande