Henry Rollins‘ Travel Slideshow – Diashow in der Christuskirche Bochum mit der Legende
Hardcore-Blues auf Mission
Christuskirche Bochum, 29.11.2018
Ein Mensch auf Mission mit Urlaubsbildern. Die Realisierung einer solchen Idee bedarf Selbstbewusstsein und Meinung zu den Dingen, die erlebt, gesagt und gezeigt werden. Davon hat Henry Rollins genug. Und Wut. Und Grips. Und Fans. Der Diavortrag ist schon lange vor der Veranstaltung ausverkauft und ein Publikum an 40 Jahren scharrt sich um und in der Kirche, um der Predigt des Hardcore-Messias zu lauschen.
(c) Ross Halfin
Scheißzeiten rufen Wünsche nach Orientierung hervor. „You got a low self opinion” wusste Henry Rollins bereits zu Adoleszenzzeiten vieler der Anwesenden kritisch unter die Haut zu fahren. Nun nur nicht mit Musik, sondern mit Reiseerfahrungen und Meinungen zum Zustand der Welt. Weil er es so fühlt und er es sich eben als eine der wichtigsten Figuren der letzten 40 Jahre Musikgeschichte finanziell und vom Standing leisten kann. Impulsiv und thematisch sprunghaft, euphorisch und laut, witzig und belehrend beherrscht Henry Rollins die Bühne im Altarraum der Kulturkirche. 1984 und 1987 ist er das vergangene Mal in Bochum gewesen, betont der Koloss. Vieles habe sich geändert. Früher, da konnte er die einzelnen Gesichter im Publikum direkt vor sich sehen. Das geht jetzt nicht mehr. Fotos sind im Zuschauerraum nicht erlaubt. Die Konzentration liegt auf der Stimme des ehemaligen Frontmanns von Black Flag, der Band, die Punk und die Labelgeschichte von SST maßgeblich prägte.
Überhaupt Geschichte. Da ist natürlich die, von Henry Rollins als öffentliche Person mit seinen vielseitigen Fähigkeiten – und Angeboten für zahlreiche Projektionen, Begehrlichkeiten und Identifikationen: tiefgeistiger Autor, Moderator im Radio und Fernsehen, politischer Kommentator, Gewichtheber und selbstdisziplinierter Körper, Skater und Surfer, mit dem Grammy ausgezeichneter Spoken Word-Künstler, Verleger mit eigenem Buchverlag, Tattoo-Ikone, Schauspieler in Blockbuster-Filmproduktionen, als Sänger von Black Flag und der noch existierenden Rollins Band und tausend anderer Projekte. Aber warum warten, wenn man/frau was will, bis dass es zu spät ist und der Tot kommt, betont Henry Rollins auch in der Bochumer Kulturkirche vor seinen Diaprojektionen.
Diese zeigen mal mehr oder weniger handwerklich gute Schnappschüsse von privaten Reisen in die Kriegsgebiete von Kuwait, Syrien, des Sudan, zu einem Musikfestival in die Wüste Malis, in die Propagandawelt von Nordkorea, in die Kälte Kirgisiens, in das Hinterland von Sri Lanka usw. Auch hier natürlich: Geschichte. Nicht nur Urlaubsgeschichte, die mit der öffentlichen und privaten Geschichte der Figur und Person Henry Rollins verschmelzen, sondern die Geschichte der Auswirkungen der Globalisierung und des Kapitalismus. Dies wird von ihm festgemacht an metaphorischen Orten und vor Allem an den Menschen, die der 54-Jährige auf seinen Exkursionen trifft und die er neugierig nach den Lebensgeschichten und Umständen fragt.
In Washington geboren und in Los Angeles lebend reist Rollins so mit lokalen Guides um eine Welt, die ihn traurig, zornig. mitfühlend und polemisch werden lässt. „Sadness“, davon habe er viel gesehen. So wird der Diavortrag auch seine persönliche und biographische Geschichte eines jungen, spontanen Manns voller Wut über das System, seinen Vater, den Zustand Amerikas, aber mit der Hoffnung, dass es nach dem „Destroy“ besser werden kann. Vor zwei Wochen, da war er noch Zwanzig. So fühle es sich für Henry Rollins an, wie die Zeit vergeht. Der Diaabend schließt melancholisch mit frühen Skateboardbildern und einer Momentaufnahme Rollins‘ beim Black Flag-Vorsingen Anfang der 80er.
Über deutsche Politik wolle Henry Rollins den Deutschen nichts erzählen, aber über Amerika, über seine Beziehung zu den Überwachungsorganen, zu seiner Anti-Bush und Anti-Trump-Haltung. So schmerzend seine Erfahrung und seine Beobachtungen der Welt sind, so sehr schafft es Rollins Schmerz nicht nur körperlich anzunehmen, wovon er in manchen Anekdoten humorvoll und blumenreich berichtet, sondern münzt Schmerz um in eine andere Perspektive. Man/frau müsse sich gegen das Schlechte entscheiden, einen Weg finden, eine Position beziehen. Der Popstar als Role Model. Wenn er diese Rolle schon innehat, warum soll er sie nicht nutzen, mag sich Rollins denken.
Diese Message bringt er mit reichlich Humor und Comedy artigen Einlagen ans Publikum, so dass letztlich ein unterhaltsamer und in seinen besten Teilen auch mal selbstironischer Abend bei vielen hängen geblieben sein sollte – insofern sie Henry Rollins wegen seiner schnellen Aussprache verstehen konnten. Musik war in den gut 2,5 Stunden ohne Pause, wie angekündigt und von niemanden erwartet, nicht zu hören, schwingte aber dennoch mit als Musikgeschichte: in persönlichen Geschichten Rollins mit Iggy Pop, Nick Cave, Van Halen, Jello Biofra, Adam Yauch (Beastie Boys) usw. Ein Abend, der gemischte Gefühle und Gedanken hinterlässt, aber vielleicht auch genauso intendiert war, nämlich Haltung zu beziehen, weil sonst: „all this bitterness wells up inside you“. Oder, wie es Pfarrer und Booker der Christuskirche Thomas Wessel treffend sagte: Hardcore-Blues.
Photography Credits Go To: Hedi May, FKP Scorpio, Ross Halfin