Das Knurren der Geschichte
Laibach in Christuskirche Bochum
Der musikalische Part des Kollektivs „Neue Slowenische Kunst“ (NSK) live in der Bochumer Kulturkirche auf dem Platz des europäischen Versprechens – das passt perfekt und schürt Erwartungen wie gleichermaßen Diskussionen. Laibach sind in den Schnittstellen und Diskurs-Clashes zuhause, sehen sich selber zwar nicht als Künstler, werden allerdings von diesen gefeiert – und von anderen als Provokation wahrgenommen. Pfarrer Thomas Wessel landet beim Booking von Laibach in Zusammenarbeit mit dem Bochumer Club Matrix einen Coup.
Viel hatte ich über die Jahrzehnte über Laibach von Kollegen gehört, bei der Arbeit im Hartware MedienKunstVerein (HMKV) war NSK ein häufig benutzter Begriff, Berichte von maßgeblichen Schreibern und Denkern des Ruhrgebiets haben die slowenische Musikgruppe als Gesamtkunstwerk mit Legendenstatus in meinem Gedächtnis verankert, ohne dass ich Laibach bis zu diesem Mittwoch, 6. April 2016, live gesehen habe. Viel kann man/frau über Laibach lesen, ein eigenes Studienfach oder zumindest ein eigenes Laibach-Seminar wäre angebracht. Nicht nur Slavoj Žižek denkt gerne über Laibach und das angeschlossene Kollektiv nach. Zuvor oft in der Debatte wegen der Verwendung verschiedener Herrschaftssymbole in ihrer Gesellschafts-, Ökonomie- und Kulturkritik stehend, rauschte im Sommer 2015 das Medienecho um die 1980 gegründete slowenische Band mal wieder besonders laut: Laibach waren als erste bekannte ausländische Band von Kim Jong Un für zwei Konzerte nach Pjöngjang, der Hauptstadt Nord-Koreas, eingeladen. Genug Stoff für den ein oder anderen Scoop und ausgiebige Mythenbildung. Da rollt in meinem Kopf schon militärisches Gerät durch die Bochumer Innenstadt mit Laibach-Sänger Milan Fras aus der Panzerluke pfeifend. Auch wenn mich meine Bekannten für mein Laibach-Anfängertum und diese Zeilen wahrscheinlich steinigen werden, war es Zeit die Attacke der Ikonographien live zu erleben. Dementsprechend hoch war nicht nur meine Konzerterwartung, sondern sicher auch die des gemischten Publikums aus dem Kultur-, Musik- und Kunstbetrieb sowie der schwarzer Szene in der mit 400 Zuschauern nahezu ausverkauften Christuskirche.
Sich selbst inszenieren die Musiker an diesem Abend in einem Bühnen-Set-Up, das an Kraftwerk erinnert. Luka Jamnik und Rok Lopatič an den Synthesizern rahmen Sänger Milan Fras und Sängerin Mina Špiler, ebenfalls hinter elektronischem Instrument, ein, während Janez Gabrič im Hintergrund für das Schlagwerk sorgt. Die fünf Musiker selbst sind meist sparsam mit ihren Bewegungen. Uniformen und viele der erwarteten Klischees sind nicht zu finden. Vom Style könnten Laibach, bis auf die Kleidung von Milan Fras, auch als zeitgemäßer Techno-Live-Act durchgehen. Wichtiger Bestandteil der Inszenierung ist die Lichtkunst und das VJing von Ivan Nowak, der die Christuskirche faszinierend illuminiert, Slogans sparsam in die Großprojektionen einstreut, Lichtkegel wie Suchscheinwerfer abfeuert, anfangs mit fließenden Grafiken und Formen arbeitet, später dann Blut die Kirchenwand herunter laufen lässt, das ironische Spiel mit musikalischen Zitaten bildreich unterstützt, wie mit Schnitzeln und Wildgänsen als Objekten, Andy Warhol- und Pink Floyd-Verweisen, Landschaften, My Little Pony-Figuren, koreanischem Volksgut, düsteren Körper- und Maschinenbildern.
Laibach beginnen mit leisen Töne, fast choralhaft. Chöre sollen auch noch im weiteren Verlauf des Konzertes häufiger zitiert werden, dies nicht in erster Linie als Reverenz vor der Kirche als Aufführungsort (auch wenn sich die Band bei Ankunft besonders für die Verwobenheit der Location mit dem Ersten Weltkrieg interessiert), sondern eher als Verweis auf die traditionelle Verwendung eines Theaterchores. Die Beats sind schwer, der hervorragende Raumklang bassig und Milan Fras Gesang mit der wahrscheinlich mit Pitchshift unterstützten, tiefsten Stimmlage des Sternensystems, kontrastiert perfekt mit Mina Špilers fast ätherischem Gesang, dieser meist schwebend oder auch mal über ein Megaphon geschrien. Der Vibe bleibt über das Konzert in seinen zwei Teilen hinweg kontrolliert und unaufgeregt, auch wenn es zahlreiche Spannungsbögen gibt, von zart bis kakophonisch. Nach weiteren Stücken mit eher ruhig-düsterem Flow und teilweise fast schon Enya-artigen Melodieführungen nehmen die Stücke an Fahrt auf. Mit „Now You Will Pay“ ist das Tempo im Techno-Bereich angekommen. Auch die verwendeten Sounds erinnern nicht nur an EBM und Industrial, sondern eben an das nahe gelegene Genre Techno. Bei noch mehr Bombast und Tiefe geht es mit „Europe Is Falling Apart“ in die Pause, die mit Walzer-Musik gefüllt wird.
Die zweite Konzerthälfte geht noch offensichtlicher in Richtung Ironie und featured Songs aus dem Nord-Korea-Set sowie Klassiker aus der Laibach-Geschichte mit mehr Rock-, Pop-, Industrial- und Avantgarde-Referenzen. Manches Downtempo-Stück könnte hier auch gut für ein Pendulum-Intro herhalten. Der Song „The Whistleblowers“ kommt nachfolgend mit Stechschritt-Drumpatterns und Marschier-Lyrics in Kombination mit fröhlichem Gepfeife und epischem Background-Chor plus Pet Shop Boys-artigen Synthie-Pop-Klängen im Stadion-Modus einher. Bei einem Lied aus Laibachs Soundtrack zum Film „Iron Sky“ rollen die Panzer und Sci-Fi-Retroavantgarde-Kriegsschiffe dann doch über die Projektionsfläche; das Konzert steuert seinem Höhepunkt entgegen. Dieser ist mit Laibachs dunkler Slo-Mo-Cover-Version des 80er Jahre-Mitgröllklassikers „Live Is Life“, im Original von der österreichischen Band Opus, erreicht. Ein großer Spaß. Leben ist Leben. Mehr gibt es eigentlich nicht zu sagen. Perfect closure. Standing Ovations in der gesamten Location. Laibach kommen noch für zwei Zugaben raus und überraschen dann abschließend das ohnehin sichtlich beeindruckte Publikum mit einem Trailer, der US-Nachrichten, zahlreiche Laibach-Disses und Konzertausschnitte zu ihrem Nord-Korea-Trip zeigt. Der Kinofilm kann also kommen.