Stotterndes Serotonin – Moodymann „DJ Kicks“

Mit Moodymann bei der Plattenauswahl und am DJ-Mixer schickt die renommierte Compilation-Reihe „DJ Kicks“ des Labels !K7 eine der größten Ikonen kontemporärer elektronischer Musik ins Rennen. Wer den House-Produzenten, Labelbetreiber von KDJ Records und DJ aus Detroit noch nicht kennen sollte: Moodymann aka Kenny Dixon Jr wird speziell von DeepHouse-Akteuren seit zwanzig Jahren frenetisch gefeiert und fast schon kultisch verehrt. Seine Frühwerke, wie „The Day We Lost The Soul“, „Amerika“ und „I Can’t Kick This Feelin‘ When It Hits“gelten als Meilensteine des House mit Seele, sein Umgang mit Jazz- und Soul-Samples, organischen Basslines und sein Drum-Programming haben das Genre geprägt. Fotos gibt es vom ehemaligen Plattenverkäufer so gut wie nicht, Interviews grundsätzlich auch nicht. Moodymann inszeniert seit Karriereanfang einen Mythos um sich selbst, seine Silhouette ist eine der bekanntesten Ikonographien der Clubkultur. Die mit Kunstdrucken ausgestatte limitierte Edition der neuen Mix-CD und des ungemixten Vinyls war nach wenigen Minuten weltweit ausverkauft. An die seit vergangenem Freitag erhältlichen, regulären Versionen der CD und Platte heran zu kommen beginnt ebenfalls schwierig zu werden. Discogs-Händler lecken sich schon die Finger. Moodymanns „DJ Kicks“ wird mit größter Wahrscheinlichkeit in den relevanten Leserpolls zur Platte des Jahres 2016 gewählt werden. 2015 war dies DJ Koze mit seiner Ausgabe von „DJ Kicks“. Viel breiter aufgestellt kann ein Hype im Underground-Clubbereich kaum sein. Moodymann als Ich-Maschine und Egovermarktungs-Wizard im Stile von Beyoncé, nur halt für den coolen Club?

Hypes sind grundsätzlich erstmal kritisch zu sehen und Moodymann vereint in sich so viele Projektionen und Sehnsüchte seiner Fans nach cooler Geschichtsschreibung, tiefer Emotion und eigensinnigem Style. Moodymann schien sich beim Mixen und Selektieren der Stücke auf „DJ Kicks“ trotz der Erwartungen an ihn auf ein Statement zu schwarzer Clubmusik eher locker gefühlt zu haben. Überraschend ist, dass die meisten Tracks aus der Zeit von 2007 bis 2013 stammen. Der Schwerpunkt liegt damit zwischen der House-Hochzeit der Neunziger und dem erneuten House-/DeepHouse-Wirbelwind seit ein paar Jahren. Natürlich gab es dazwischen auch viele gute Tunes, das beweist auch Moodymann. Die super raren Goodies haut Moodymann auf der aktuellen Compilation nicht raus. Muss er auch nicht. Dafür hat er Soul-Perlen, wie „Where Will You Be“ des Sängers Yaw aus dem Ron Trent-Umfeld dabei, vielleicht der stand out-tune der Compilation, so wie hier die Bläser mit dem Bibbern der Stimme Yaws korrespondieren. Ein weiterer Anspieltipp ist das soulfulle Clap-Monster „Stained Glass Fresh Frozen“ von BBE-Artists Julien Dye, das spätestens mit dem Gesangseinsatz von Mara TK eine Sexyness aufnimmt, die mich an Adesse Versions „In The Dark“ und an Josè James erinnert. Zwischendurch gibt Moodymann Detroit und seinen musikalischen Wurzeln props, was sich am eindrucksvollsten auf Dopeheads verrauchtem Filter-HipHop-Jazz „Guttah Guttah“ anhört. Die Vinyl-Version enthält nicht alle Tracks der Mix-CD und vor allem nicht die Edits von Moodymann. Während sich die CD zum fluffigen Durchhören eignet, auch wenn Mutti mal zu Besuch kommt, ist die Vinyl-Ausgabe nicht nur smartes DJ-Futter, sondern, meiner Meinung nach, auch in der Abfolge der Stücke besser kompiliert als die CD. Wer auch immer erst Beady Belles „When My Anger Starts To Cry“ vor Daniel Bortzs „Cuz You’re The One“ platziert hat, der hat die Essenz, den Vibe der Moodymann-Selection verstanden. Nach Beady Belles Lyrics „start feeling sorry myself…for my situation…when my anger starts to cry“ geht es über in das erste House-Stück der Zusammenstellung mit all seiner Fragilität und stotterndem Serotonin, wie es sonst vielleicht noch im Drum & Bass-Stück „Golden Girl“ von Makoto & Conrad zu finden ist. Danach folgen einige Vocal-House-Stücke (Vocal-House wird wieder groß wiederkommen, I told ya), die recht okay sind. Kurzum: Ich war echt bemüht, das Album nicht wirklich gut zu finden, aber irgendwie führt doch kein Weg an Moodymann vorbei. Sein Beitrag zu „DJ Kicks“ ist keine Offenbarung, ist aber aus besten Gründen das Konsens-Album des Jahres.