Unwegsames, offenes Terrain
Internationale Kulturkonferenz „Kultur Ist Digital – Digital ist Kultur“
– Panels, Workshops, Lectures mit Teilnehmern aus 19 Ländern im Essener GOP Theater, Mittwoch, 23. September 2015
Mit der Verleihung des kulturellen Innovationspreises „N.I.C.E. Award“ durch NRW-Wirtschaftsminister Garrelt Duin endete am 23. September in einer brasilianisch-europäische Koproduktion das vierte Forum d’Avignon Ruhr im Essener GOP Varieté-Theater.
240 Gäste aus 19 Nationen befassten sich mit den Problemen, Chancen und Unwägbarkeiten der digitalen Revolution für die Kultur und Kreativwirtschaft. Neue Initiativen und Techniken wurden vorgestellt und digitale Kultur in Diskussionen problematisiert.
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Platz 1: “The Machine To Be Another” – künstlerisches Projekt, in dem ein Besucher in die Gedanken und den Körper einer anderen Person eintauchen kann. (c) Vladimir Wegener
Fast schon inflationär werden Begriffe wie Big Data, Industrie 4.0, Cloudtechnologien etc in ähnlichen Diskursen benutzt. Jedoch spannend, geistreich wie ebenso frisch zeigten sich die Projekte der Bewerber um den N.I.C.E. Award. Thema des Wettbewerbs war nichts Geringeres als „Mit Kreativität die Welt verbessern“. Fünf Projekte, die tags zuvor in der Essener Galerie „Alte Mitte“ in einer Ausstellung vorgestellt wurden, machten am Ende das Rennen.
Der N.I.C.E. Award
Das Projekt „Machine to be another“ aus Brasilien erhielt den Hauptpreis der Jury von 8000 Euro, die unter anderem mit Charles Landry, dem legendären Städteforscher und Publizisten, und dem Präsident der Folkwang Universität der Künste Kurt Mehnert besetzt war. Unter Verwendung digitaler Technik ermöglicht die Installation „machine to be another“ in Physis und Gedanken einer anderen Person einzutauchen und sich selbst im Körper des Gegenübers zu betrachten. Jury-Vorsitzender Charles Landry betont: „Das Projekt überzeugt durch seine einmalige Kombination aus Kunst und Wissenschaft und setzt Technologie außerhalb der von uns bekannten Grenzen ein.“
Weitere Preise gingen an das Open-Source-Gerät „PlanEt“ aus Großbritannien und den Niederlanden (5000 Euro), das Daten von Pflanzen in Städten auswertet und so Baustein zukünftiger „Smart Cities“ sein möchte. „WikiHouse“ aus Großbritannien (3000 Euro) möchte den Hausbau als eine offen zugängliche Kulturtechnik revolutionieren und ermöglicht BürgerInnen die Mitgestaltung der Stadt mittels 3D-Druckern und günstigem Errichtung von Niedrigenergie-Selbstbauhäusern. Zwei weitere Preise gingen an „Home back Home“ und „Creative Technologies in Classroom“, beide aus Spanien (jeweils 2000 Euro).
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213 Bewerber aus 29 Ländern hatten Projekte eingereicht. Die Shortlist der Nominierten umfasst vom Zwei-Personen Projekt bis zum Frauenhofer Institut und einer Kooperation des Londoner Universitätsklinikums mit dem Royal College of Art sowohl öffentliche Einrichtungen wie auch Freiberufler und kleine Kreativschmieden. In einem weiteren Artikel auf At The Controls werden wir eine Streaming-Plattform für kreative Independent-Inhalte für Künstler, das Programm „Education In Place of War“ und das Data Ethical Culture Observatory als Beispiele vorstellen.
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Platz 3: „WikiHouse“ – weltweite, kostenfreie Plattform für preiswerte DIY-Haus- und Wohnungssysteme (c) Vladimir WegenerNice Award_winner_02
Platz 2: „PanEt“ – ein Open-Source-Gerät zur Erfassung und Visualisierung biologischer Daten von Pflanzen. Die Daten von Pflanzen in Städten werden auswertet und sollen so Bausteine zukünftiger „Smart Cities“ sein. (c) Vladimir Wegener
Der N.I.C.E. Award und die dazugehörige Wanderausstellung werden vom nordrhein-westfälischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk, den Ruhrstädten Dortmund, Essen und Gelsenkirchen sowie creativ wirtschaft austria finanziert. Das Network for Innovations in Culture and Creativity in Europe, N.I.C.E., wurde 2013 durch ein Konsortium aus 15 europäischen Städten, Hochschulen, Agenturen und Persönlichkeiten unter der Federführung von ecce (european centre for creative economy, Dortmund) ins Leben gerufen und wird vom Ministerium für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport des Landes Nordrhein-Westfalen unterstützt.
Die Konferenz „Kultur ist digital – Digital ist Kultur“
Vor allem zeigte die Konferenz wie vielfältig Kultur im digitalen Kontext sein kann und wie Digitalisierung gleichzeitig dem Künstlerischen Ausdruck verleihen kann, aber auch die wirtschaftliche Existenzgrundlage von Künstlern gefährdet. Im Kontext politischer Diskusionen wurden Fragen vom Kartellrecht über Internetrechte, Datensicherheit bis zum Urheberrecht thematisiert. Minister Garrelt Duin kündigte eine Studie für 2016 an. Sie soll die Kultur und Kreativwirtschaft in der digitalen Revolution in NRW erforschen. Das Kulturfördergesetz legt einen Schwerpunkt auf Kunst im digitalen Bereich. In Europa arbeiten mittlerweile 2.5 mal mehr Menschen in der Kultur- und Kreativwirtschaft als in der Automobilindustrie. Nichtsdestotrotz bedarf es rechtlicher Voraussetzungen und Absicherungsprogramme, um das wirtschaftliche Überleben von Kreativen und Künstlern in der digitalen Welt in häufig prekären Arbeitsverhältnissen zu verbessern. Es darf sich also auf eine – hoffentlich ehrliche und genaue – Studie in 2016 gefreut werden.
Unter dem Topic „Digitale Realitäten und kulturelle Visionen“ traten Künstlerin Ruth Carlow, Cracked Labs-Mitbegründerin Wolfie Christl, Jean Peters vom Peng! Kollektiv und Schauspiel Köln-Regisseurin Angela Richter auf der Bühne in den Dialog.
Nicht neu, aber als einer der wichtigsten Punkte kommender Themen in der digitalen Kultur, wurde die Teilhabe an kulturellen Prozessen durch Digitalisierung hervorgehoben. Tom Higham stellte dabei das faszinierende, englische Festival FutureEverything an der Schnittstelle von neuester Kunst, elektronischer Musik und Demokratie vor. Frank Tentler von menschortweb ist ein renommierter Redner im Bereich des Digitalen und zog die Register der digitalen Entwicklung von der Mobilität über das Soziale bis hin zu den Orten (Stichwort Beans) und Sensoren, die Verbindung zum Menschen aufnehmen, bis hin zur Kopplung von Körper/Psyche mit Technik. In diesem Zusammenhang riet Tendler kulturellen Playern die Entwicklung nicht zu verschlafen: „Wer ein Event anbietet, von dem er ausgeht, dass es mitteilungswürdig ist, der darf die jungen Besucher nicht dadurch quasi beleidigen keine gratis Internetverbindung und Strom zur Verfügung zu stellen.“
Besonders spannend und informativ war die Diskussion über kulturelle Ökonomie durch Digitalisierung. Hier wurde auch mal Tacheles geredet. „Nicht alles wird dadurch besser und cooler, wenn man ‚digital‘ davor schreibt“, meinte Urheberaktivist, Filmkomponist und Publizist Matthias Hornschuh. Mit einer interessanten Idee wartete Denis Bartelt von der Crowdfunding-Plattform Startnext auf, um den eigenen Marktwert als Künstler zu messen – nämlich, es als eine Art Währung zu sehen, wie viel Geld für ein künstlerisches Projekt beim Crowdfunding zusammen kommen könne. Dass die Filmbranche es ernst meint mit dem Innovationsgeist, das zeigte Jens-Uwe-Bornemann vom UFA Lab. 50 Prozent der Investitionen gehen mittlerweile bei der UFA in die Daten-Analyse von zum Beispiel Verweildauer oder Ausstiegszeitpunkt bei Trailern. Außerdem wird nach neuen, medienübergreifenden Narrationsformen geforscht. Beispiel für neue Formen des Erzählens und des Vermarktens finden sich auch bei vielen YouTube-Stars, die ungeplant karriere gemacht haben, Mittlerweile werden talentierte YouTuber gefördert und für den Markt fit gemacht, und das YouTuben ein beruf. Tina Funk von der Musikvideo-Plattform VEVO unterstrich, dass vor allem in der Musikindustrie ein neuer Künstlertypus gängig sei, der sich mit Selbstvermarktung und Kontrolle über seine Daten auseinandersetzen müsse. Eine DIY-Mentalität führe dabei nicht automatisch zum Erfolg. 98 Prozent der Künstler würden es nicht schaffen. Matthias Horschuh bekräftigte, dass es, ob digital oder nicht, immer noch um Zugangsprinzipien zum Markt gehen würde, egal ob bei YouTube, einem Musiklabel oder bei Kulturföderung.
Ein Highlight war auch der Workshop „Digitaler Journalismus“, den wir hier im gesonderten Artikel in seinen Ergebnissen und Sichtweisen von Wilfried Runde und Mirko Lorenz (Deutsche Welle) auf die Zukunft der Arbeit von Journalisten beleuchten werden.[image_with_animation image_url=“143″ animation=“Fade In“ img_link_target=“_self“]ice Awad_Ausstellung_Galerie Alte Mitte_01
N.I.C.E. Ausstellungsvernissage in der Galerie Alte Mitte, Schützenbahn 37, 45127 Essen, zu kommen. Dort werden sich die 16 Shortlist Kandidaten vorstellen, es gibt Musik vom Ensemble Ruhr und Getränke. / Foto (c) Steffen Korthals
Hintergrund
Die Veranstalter Kultur- und Kreativwirtschaft ales entscheidende Motoren des digitalen Wandels “eBooks und Smartphones verändern die Art wire Bücher in Zukunft konzipiert und gelesen werden, mp3, YouTube und Streaming verändern die Art wie Musik produziert, konsumiert und bezahlt wird, digitale Technik verändert das Kino vom Dreh bis zum Vetrieb und Dienste wie Netflix revolutionieren das Fernsehen.” Das Zitat des Tages fokusiert das Ganze und kam von NRW-Staatssekretär Bernd Neuendorf: “Jede technische Revolution führt früher oder später zu kulturellen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Deshalb ist es für den Kultursektor so wichtig, die Dynamik der digitalen Revolution, ihre Chancen und Risiken besser zu verstehen.”