Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg
Maximilian Steffans „Westinghouse“ im Depot Dortmund
Vordergründig zeichnet das Regiedebut „Westinghouse – Sie hätten es besser mit einer Axt gemacht“ von Maximilian Steffan ein intimes Situationsporträt in einer amerikanischen Todeszelle kurz vor der Hinrichtung der Delinquentin durch den elektrischen Stuhl – was schon Wagnis und deep genug wäre – zumindest wenn die Produktion nicht auf „The Green Mile“-Sentimentalität setzen möchte. Die theatrale Bearbeitung des Themas, das sich für ein Kammerspiel und Zwei-Personen-Stück geradezu anbietet, ist eine um so schärfere Klippe, wenn es hintergründig um viel mehr gehen soll.
Anhand des Dialogs zwischen Mörderin Martha M. Place (Denise Rech / Rottstr 5 Theater Bochum) und Henker Edwin Davis (Jörg Schulze-Neuhoff / Rottstr 5 Theater Bochum) entpuppen sich Diskurse über die aus kontemporärer Kunst bekannten Fragen im Spannungsfeld zwischen Subjekt, Raum, Technik, Körper und Ethik. Was zunächst etwas konstruiert wirkt, zeigt sich im weiteren Verlauf des Stücks dann stringent, wenn das Publikum „Westinghouse“ als Parabel über Beziehungen an sich sieht: Beziehungen zwischen Mörderin und Henker, Frau und Mann, Individuum und Gesellschaft, Moment und Geschichte, Mensch und Gott, Schuld und Handlung.
Dabei geht es weniger um die politische Ebenen der Topoi, als um eine philosophische Betrachtung. Dafür nutzen Maximillian Steffan und Regieassistentin Gini Lindemann ein aufgeräumtes und ausdrucksstarkes Bühnenbild. Ein offener Quader stellt nicht nur die Todeszelle dar, sondern auch den abstrakten Raum (siehe Isaac Newtons „absoluter Raum“ als Versuchsbedingung und Hypothese), die Gesellschaft, die äußere und die innere Welt. In deren Mittelpunkt, mit einem Neonlicht-Kreuz im Hintergrund, steht der todbringende Stuhl, gleichermaßen Ruhe- wie Endpunkt.
Als Text, der kein Behälter-Sarg sein mag / Schreib ich mich auf / Um nicht zu ex- oder zu implodieren / Platzangst reduzieren / Zieh ich mich zu und ab und zu aus / Und hör nicht auf Prozess und Technik / Und mich selbst zu buchstabieren.
(Blumfeld „Verstärker“).
Was den 26-jährigen Denker und Macher Steffan voranzutreiben scheint, das sind die existentiellen Themen, deren innewohnenden Fragen am Ende von „Westinghouse“ offen bleiben, vielleicht auch offen bleiben müssen. Eines scheint jedoch sicher: Regeln sind es, die das fragile System von Recht und Ordnung, von Kommunikation generell, von den Masken der Macht sowie von Subjekt und Objekt zusammenhalten. Was passiert, wenn jemand die Regeln bricht, mordet, die Machtverhältnisse der Kommunikation umdreht, die Metaphysik dekonstruiert (siehe Heidegger, Derrida): das versucht die Theaterproduktion jenseits einer Kantischen Ethik zu diskutieren.
So ausufernd der Titel des Erstlingswerkes, so kompakt ist hingegen die Strecke der Inszenierung mit flinken 40 Minuten. Maximilian Steffan, der auch den Text von „Westinghouse“ geschrieben hat und als Regieassistent beim Dortmunder Schauspiel erfolgreich arbeitet, schafft es in einigen Szenen mittels psychologisch präziser Beobachtungen einen Sog zu kreieren, der besonders in Bezugnahme auf das Argumentieren der beiden Antagonisten stellenweise durch heftige Bibelzitate (aus Offenbarung, Apokryphen) den Zuschauer quasi körperlich zu schütteln scheint. Die Bühnenfiguren feuern in der knappen Zeit das an Referenzen und Quergedachtem raus, was geht. Steffan ist unterwegs und auf einer Mission, traut sich was. Das rockt und bewegt. Das verspricht mehr.
Seine Protagonisten in „Westinghouse“ geben der dekonstruktivistischen Parabel klare Formen. Denise Rech spielt wuchtig und erinnert in Bühnen-Physiognomie wie zynisch-kämpferischer Präsenz an Sigourney Weaver aus „Alien 3“, während Jörg Schulze-Neuhoff eine intensive Performance zwischen frühem Coen-Brüder-Charakter und verunsichertem Mitläufer gibt. Gegen Ende von „Westinghouse“ scheinen sich die Positionen der Figuren zu durchdringen. Es ist etwas in Gang gekommen, das auch nach der Hinrichtung der Todgeweihten weiter pulsiert.
„Westinghouse – Sie hätten es besser mit der Axt gemacht“ wird in kürze auch in weiteren Spielstätten der Region gezeigt. Maximillian Steffan hat weitere Texte und Stücke in der pipeline. Man/frau darf gespannt sein. Watch this space.