Wolfgang Voigt präsentiert GAS – live
Die Rückkehr in den Ambient-Techno Wald mit einem der größten deutschen Musiker
Kölner Philharmonie, 09.05.2018
Nach über zehn Jahren tritt Wolfgang Voigt mit seinem Ambient-Projekt GAS das erste Mal wieder in Köln auf. Der Andrang ist groß, allerdings nicht ausverkauft oder so ausufernd, wie es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. Die Clubkultur-Hautevolee aus Rheinland und Ruhrgebiet hat sich aber zahlreich eingefunden, um das mit Spannung erwartete audiovisuelle Erlebnis mit einem der wohl wirklich bedeutenden lebenden deutschen Musiker überhaupt in der Kölner Philharmonie im Rahmen des „Acht Brücken“-Festivals zu hören und zu sehen. Wolfgang Voigt (ähnlich wie bei den Diederichsens: nicht zu verwechseln mit seinem Bruder, Reinhard Voigt) veröffentlichte Techno, House und Electronica unter anderem als Mike Ink, Grungerman, Strass, M:1:5, Pop Acid, Dom, Wassermann, Love Inc oder Freiland auf seinen Labels, wie zum Beispiel Kompakt, Speicher, früher auf Profan, Studio 1, Kreisel und vielen mehr, führt zugleich die international renommierte Booking-Agentur, den Vertrieb und Kölner Plattenladen Kompakt und versuchte es in der bildenden Kunst.
Mit „Narkopop“ veröffentlichte der Mann hinter dem Techno-Imperium 2017 nach 17 Jahren das Nachfolge-Album zu den ersten GAS-Werken, die als Meilensteine kontemporärer Musik gelten. Jetzt erscheint Mitte Mai 2018 ein Album mit dem Titel „Rausch“ (siehe https://www.youtube.com/watch?v=s–IkNqI9og und https://www.youtube.com/watch?v=-eyAxdYz6dM). So kultisch wie Wolfgang Voigt vor allem in Köln und in England verehrt wird, so sehr wehrt sich Wolfgang Voigt gegen das eigene Museal-Werden – siehe dazu auch das ausgiebige Interview von das filter mit Wolfgang Voigt: http://dasfilter.com/sounds/unkaputtbar-kompakt-legende-wolfgang-voigt-ueber-wolfgang-voigt . Während die Zeitung Die Welt bei seinem Ambient-Projekt von „maximaler akustischer Konfusion“ spricht und andere Medien GAS im Kontext des Minimalismus sehen, ist sein Werk meines Erachtens sehr klar und abwechslungsreich. Natürlich ist und bleibt das Repetitive und das Hypnotische Bestandteil so ziemlich jeder Musik, die sich auf Clubmusik gründet, wie auch GAS es macht. Das Rauschen im Titel des neuen Albums verweist auf die eigene Rave-Vergangenheit, auf das Rauschhafte seiner Musik, auf das Rauschen der Blätter am Schauspielplatz aller GAS-Alben, dem Wald, und auf das Rauschen des Sounds als Ocean Of Sound (David Toop) und konkret als Noise, als hörbares Rauschen in der Komposition.
Wolfgang Voigt benutzt bei GAS gerne auch Samples aus Zwölftonmusik, Moderner Klassik oder Atonaler Musik. Ligeti, Schönberg, Penderecki und Kollegen scheinen hinter den Laub- und Klangstrukturen durchzublitzen (siehe https://www.youtube.com/watch?v=cL7XXWpOKZI). Das ist weder prätentiös noch konfus, sondern äußerst stimmig, geht es Voigt um Auflösung von scheinbaren Widersprüchen, um das Nebeneinander, um Magie, egal ob auf dem Soundmeer Juliane Werdings oder Alban Bergs fließend. Die Klänge im neuen GAS-Konzert verweben sich. Sie sind weder noch. Weder Wohlfühl-Feierabend-Ambient noch auslotendes Klangexperiment. Oftmals werden die Soundscapes und Hörer durch eine dumpfe, im Hintergrund pulsierende Bassdrum geführt. Wie die Visuals auf der überdimensionalen Leinwand auf der Philharmonie-Bühne, ist diese zuweilen vernebelt, dumpf, aber dennoch mächtig. Der Klang in der Philharmonie und die Beatschmiedekunst Voigts sind so außerordentlich gut, dass einem die Wirksamkeit der kleinen und großen Trommel (Amiri Baraka) mal wieder deutlich spürbar wird, ohne dass hier überhaupt ein Rave stattfindet. Die Stimmung der ineinander übergehenden Stücke mit Sequenzen aus Narkopop und Rausch changiert zwischen bedrohlichen bis uplifting Passagen, teilweise korrespondierend mit dem Bildmaterial, das einem Tageslauf narrativ folgt (siehe https://www.youtube.com/watch?v=-cjoOV4usL4 und https://www.youtube.com/watch?v=ZereNVimGfw
Details und Blicke aus und im Wald werden verfremdet, dies im typischen GAS-Design. Der Blick und die Bilder scheinen dabei nicht mehr menschlich zu sein. Zu ungewöhnlich und eigen wirken die Perspektiven. Es ist ein entpersonalisierter Blick, ein Blick der Auflösung, der hier gezeigt wird, genau wie die Musik es anstrebt. Ein Blick aus dem Herzen des Waldes, wenn es so etwas gibt, in die Tiefe des Waldes selbst hinein (siehe: https://www.youtube.com/watch?v=iP-4bNTtSrY). Beim Wald, da schwingt nicht nur visuell, sondern auch musikalisch immer das Historische mit, aber auch das Phantastische, das Deutsche, die Märchen, das Grauen, das Romantische, der Angst- und Zufluchtsort. Das nutzt Wolfgang Voigt außerordentlich meisterhaft und intensiv. Nach 75 Minuten zwischen Meditation, Abgabe der Kontrolle an den Beat und Ocean of Sound, ist das Konzert schon vorbei, währendem Voigt hinter seinem Computer manchmal kopfnickend oder mit dem Bein wippend konzentriert gearbeitet hat.
Die Strenge und das Akademische, was elektronischer Musik aus Köln oft zugeschrieben wird, hat an dem Abend nicht überhandgenommen. So gelingt Wolfgang Voigt vielleicht ein weiteres Meisterwerk, gar ein neuer Level, nämlich das Überbrücken, das Auflösen der vielen Voreingenommenheiten gegenüber Ambient, Kölner Techno und Projekten an der Achse Club, Musik und Kunst in den Zustand von GAS – passend zum Festivalthema von Acht Brücken: „Metamorphosen, Variationen – Bernd Alois Zimmermann“.