Bullshit-Symphonie für Bäume und die Melancholie des Clubs

Posted by | May 2, 2016 | Art, Digital, Kultur, Party, Sound, Uncategorized | No Comments
Diedrich diedrichsen At The Controls


Dash / Steffen Korthals im Gespräch mit Diedrich Diederichsen

Vor dem Hintergrund aktueller Diskurse um den spekulativen Realismus, Poptheorie, Subjekt, Science Fiction, Sounds und Kunst, spricht Diedrich Diederichsen mit Steffen Korthals (Dash), beantwortet Fragen, wirft neue auf, gibt Aus- und Einblicke in Gesellschaftliches und Persönliches. Das Interview wurde live in der Radiosendung Vinyl Asyl (eldoradio*, UKW 93.0, 03.08.2015) ausgestrahlt. Steffen Korthals / Dash: Ganz besonders freuen wir uns nun bei Vinyl Asyl mit Diedrich Diederichsen – nicht nur meiner Meinung nach – einer der maßgebendsten Denker an der Schnittstelle von Kultur, Musik, neuester Kunst und Philosophie der Gegenwart, im Interview begrüßen zu dürfen. Diedrich Diederichsen hat sich seit den Achtzigerjahren einen Namen gemacht als Kulturwissenschaftler, Kurator, Theoretiker sowie als Journalist und Autor in den Pop-Kulturzeitschriften Sounds und Spex. in Zeitungen, Publikationen, wie Die Zeit, taz, Jungle World, Theater heute und Texte zu Kunst, und durch seine Bücher, wie „Sexbeat“, „Freiheit Macht Arm“ und – unlängst erschienen – „Über Pop-Musik“. Er lehrte und lehrt an verschiedenen Hochschulen. Professor Diedrich Diederichsen ist seit 2006 an der Akademie der bildenden Künste in Wien und lebt in Berlin und Wien. Vor dem Hintergrund aktueller Diskurse um den spekulativen Realismus, Pop-Theorie und Relevanz, Subjekt, Science-Fiction, Sounds und Kunst möchte ich gerne ein paar Fragen an Diedrich Diederichsen richten.

Vielen Dank, dass du Zeit gefunden hast, und ein herzliches Willkommen, Diedrich Diederichsen.

Diedrich Diederichsen: Ja, danke.

SK: Ich habe es gerade kurz angesprochen, glaubt man einigen Diskursen der vergangenen Zeit, so soll sich Kunst, Musik und Philosophie von der Postmoderne und dem Subjekt quasi verabschieden. Haben damit auch Subkulturen, einzelne Genres vielleicht und subjektive Sinnzuweisungen ausgedient deiner Meinung nach?

DD: Naja, das müsste man genauer besprechen. Also zuerst, die Postmoderne war ja selbst schon gekennzeichnet durch Subjektkritik. Also wenn man das übersetzt auf Entwicklungen in der Pop-Musik, dann waren die Neunzigerjahre voll mit Subjektkritischem und Diskursen, die durchaus inspiriert waren von meinetwegen doch postmodern zu nennenden Theorien, wie denen von Deleuze, und die sich dann anhand von Techno und Post-Technomusik austobten und da Verbindungen erkannten. Also wäre das nichts Neues. Dass wir ein Problem mit dem Künstlersubjekt haben, das war ja in den Neunzigerjahren tägliche Rede. Und es wurde gerade auf die Postmoderne bezogen.

Und was man heute so hört, von verschiedensten Seiten, gegen die Postmoderne und dass man da jetzt mal wieder was anderes machen müsste, das richtet sich meistens dann gegen Relativismus, den Relativismus der Postmoderne, den vermeintlichen. Das war aber schon damals so eine Frontstellung. Der Postmoderne wurde dann immer nachgesagt, alles sei erlaubt, was dann wiederum so eine Diskursfigur ist, die ja eigentlich jeder Art von Aufklärung und Befreiung schon vorgehalten wurde. Also dass wenn Gott tot ist, alles erlaubt ist und ein kompletter Relativismus beginnt, ist auch schon eine sehr populäre Denkfigur des 19. Jahrhunderts.

Ich bin so ein bisschen skeptisch, was das soll. Wenn wir jetzt konkreter werden wollen, dann gibt es natürlich auch noch so eine ganz andere Kritik: Es ist nicht die Kritik am Subjekt als Figur künstlerischer Produktion oder als Denkmodell, wie man sich menschliches Handeln vorstellen kann, sondern als Kategorie der Erkenntnis. Das ist halt so in der Mode des Spekulativen Realismus verbreitet. Da würde ich sagen, da gibt es einen rein philosophischen Zusammenhang, den Quentin Meillassoux herstellt, über den kann man diskutieren. Das ist soweit ganz interessant. Also nicht, dass ich dem unbedingt folgen würden, diesem Gedanken, den er hat. Dass man von einer Auffassung von Erkenntnis wegkommen muss, die für erkennbar nur das hält, was dem Subjekt zugänglich ist. Aber das ist Kant, gegen den es da geht, nicht die Postmoderne. Das kann man diskutieren. Auch wenn ich meine, dass er Kant schwächer macht als er ist.

Es gibt aber auch eine sehr viele blödere, populäre Anwendung davon in vielen sogenannten spekulativen, realistischen und auch sogenannten akzelerationistischen Diskursen, wo dann diese Subjektkritik mit der anderen Subjektkritik irgendwie vermanscht wird. Das Ganze wird dann plötzlich ein Thema von Kunstdiskussion, in der es eine Kunst geben soll, die sich nicht an menschlicher Subjektivität orientieren soll. Das ist allerdings kompletter Quatsch. Denn, dass eine Kunst nicht mit Rezipienten/innen rechnet, die menschlich subjektiv konstruiert sind, ist natürlich Bullshit! Die Symphonie für die Bäume und Straßenverkehrsordnungen entzieht sich unserer Diskussion. DD3

SK: Im spekulativen Realismus, da spielt Armen Avanessian eine wichtige Rolle – ich weiß nicht, wie er ausgesprochen wird, ist das so richtig?

DD: Ich nehme mal an, dass der so ausgesprochen wird, ja.

SK: Der war 2014 ja auch Gastprofessor in Wien, wo du auch lehrst. Gab es da einen Austausch?

DD: Nein, nicht mit mir, aber es gab wohl Austausch.

SK: Aber du bist jetzt nicht maßgeblich davon beeinflusst …

DD: Nein, davon bin ich nicht beeinflusst.

SK: Mark Terkessidis, hat in seinem Artikel zum aktuellen Jubiläum von der Spex die Forderung aufgeworfen – die es ja schon öfter gab: Popkritik, die muss sich wieder der Relevanzfrage stellen. Sind Zeitschriften, Blogs, auch Radiosendungen, wie diese, im Popdiskurs auch in einer Krise, weil das Interesse speziell an Kritik von Pop-Phänomen und verschiedenen Typen von Kulturindustrie, sagen wir mal, um das Jahr 2000 so abgenommen hat, zum Beispiel bei eher linken Denkern? Und Selbstkritik vielleicht auch finanziell zu gefährlich ist in den Nischen, die es noch gibt?

DD: Das ist, glaube ich, ein Phänomen, das nicht auf die Kritik oder Rezension von Pop- und Musikphänomen beschränkt ist. Da kommen zwei Sachen zusammen. Das eine, das sind vor ein paar Jahren, unter anderem von Leuten wie Thomas Groß und so, vorgebrachte Behauptungen, dass Popkritik irgendwie an ihre Grenzen gestoßen sein, weil Kritiker_innen ja keinen Informationsvorsprung mehr hätte und es deswegen sozusagen sinnlos wäre auf der Basis irgendeines Wissens zentralperspektivisch irgendwie Diskurse zu errichten, von wo aus man irgendwas besser wisse als irgendwelche Leser_innen. Und können dann ja auch gleich sozusagen sich alle selbst informieren.

Das halte ich für ein großes Missverständnis, weil es natürlich in der Kritik nicht unbedingt um Informiertheit geht. Es geht nicht darum, dass man irgendwelche Funktionen hat, die andere nicht haben, nicht um privilegierte Infos aus dem Studio, sondern es geht natürlich um Positionen. Und ob man die hat, formulieren kann, zur Diskussion führen kann oder nicht, ist nicht eine Frage der früher bekommenen Vorab-Promo-Copies. Aber das ist eine verbreitete These, dass es sozusagen das Brot- und Buttergeschäft von Zeitschriften, auch Blogs und anderen Publikationen, eben wäre zu informieren. Und dann gibt es oben drauf noch ein bisschen Kritik. Das ist das eine.

Das andere ist, dass überall da, wo es sehr gut läuft, rein ökonomisch und vom allgemeinen Interesse her, die Relevanzfrage nicht gestellt wird. In der Bildenden Kunst wird die Relevanzfrage ja auch nicht gestellt – weil die Galeristen die Säcke und Taschen voller Geld haben. Es ist also keine Frage der materiellen Not. Klar, Selbstkritik ist natürlich immer noch ein bisschen was anders, wobei ich auch sagen würde, dass das niemanden gefährdet. Im Gegenteil. Das wird eigentlich meistens eher als edle Geste gesehen und verstanden.

Dass der Alltag nicht einer Kritik und der Überprüfung von Phänomen auf ihre Relevanz hin unterzogen wird, das kann nicht unbedingt daran liegen, dass sich ökonomisch oder auch technologisch so wahnsinnig viel geändert hat. Meiner Ansicht nach hat das eher damit was zu tun, dass das Verhältnis zwischen Kritik und Veränderung der gesamtgesellschaftlichen Situation heruntergefahren worden ist in dieser TINA-Situation, int der kapitalistische Verhältnisse auftreten. Die einzigen relevanten oder sichtbaren Form von Opposition sind dann auch immer solche, die dann ganz gesamtgesellschaftlich oppositionell sind und nicht so konkret – die eben generell gegen die Verhältnisse sind. Leider.

SK: Ich würde gerne mal auf das Thema Club kommen. Die Stimmung in den Clubs, die scheint sich in den letzten zwei Jahren in Richtung Innerlichkeit und Melancholie verschoben zu haben, vor allem im House. Man trifft sich im Club, um gemeinsam zu versinken, zu leiden und so weiter. Das gab es vorher auch schon, sich sichtbar und gleichermaßen unsichtbar zu machen, einen Release zu erfahren. Quasi eine Art Ankoppelung an House und Disco der alten Schule – nur mit aktualisiertem Sound und Totem. Beobachtest du dieses Phänomen auch? Beobachtest du Club-Kultur an sich und könnte sich die gerade beschriebene Beobachtung auf einen mittlerweile konventionalisierten emotionalen und persönlichen Zugang zur Musik beziehen, der jetzt besonders up to date zu sein scheint?

DD: Ich beobachte Club-Kultur kaum und besuche Clubs selten, tue es manchmal aber doch. Da fällt mir alles Mögliche auf, aber natürlich nicht kleinteilige Dinge. Ich beobachte aber natürlich Club-Musik oder Produktionen drumherum. Was du Melancholisierung nennst, ist schon spürbar. Ich bin aber nicht so sicher, ob man sagen kann, dass das jetzt rückzugsartig oder eskapistisch zu verstehen ist. Ich finde, dass es – und dies wiederum nicht nur in der Popmusik und Club-Kultur – eine Art von Melancholie gibt, die weit verbreitet ist, in der Vergeblichkeitsformate in Verbindung gebracht werden mit Realismus. Es ist oft so, dass, wenn man diese Melancholie-Komponente nicht beimischt, es den Leuten weniger welthaltig vorkommt. Das wäre dann das Gegenteil vom alten Melancholie-Eskapismus der Wave-Kultur. Diedrich Diederichsen (c) Steffen Korthals

SK: Interessanter Gedanke.

DD: Das ist so ein Gefühl, das ich habe. Das tritt nicht auf mit einem „Komm-lass-uns-zurückziehen“, sondern es ist – in manchen Fällen zumindest – , ein Phänomen wie die Traurigkeit und Verlorenheitsmotive rund um Dubstep. Das hat auch etwas von: „Hier, wir treten auf die triste, britische Straße.“ Aber es ist eben anders als früher, wo das Innerliche, das Melancholische in privaten Räumen stattfand und die Straße war wild und lebendig und mit sich selbst eins. Heutzutage ist die Melancholie eben auch auf der Straße.

SK: Ist das Phänomen eine Abbildung oder wird das Gefühl vom Künstler teilweise eingebaut, um…?

DD: Das ist so gesehen nicht ein intentionaler Aspekt aus der Produktion, das ist mehr so eine Art Lingo. Man spricht im Konjunktiv oder dialekthaft. Etwas Ähnliches gab es zum Beispiel auch im Cool Jazz der Fünfziger. Der war auch melancholisch und doch zugleich realistisch. Der sprach von Einsamkeiten, aber diese Einsamkeiten fanden auf sehr realen Straßen von New York City statt, während man aber auch an Afrika denken musste. „Miles Runs The Vodoo Down“ wäre ein Beispiel.

SK: Interessante Parallele, habe ich so noch gar nicht daran gedacht. Dystopischer Techno, das ist auch so ein Phänomen, was man beobachten kann, wenn man sich mit Club-Kultur beschäftigt. Und das scheint ja gerade irgendwie groß zu werden: große Festivals, wo dann düsterer, pessimistischer Techno läuft. Das scheint aktuell House abzulösen. Ist das im gleichen Kontext zu sehen, wie die gerade besprochene Einsamkeit des Subjektes, auf der Straße…?

DD: Ja. Einsamkeit wäre jetzt aber nur ein Aspekt. Melancholie ist ja nicht nur Einsamkeit. Aber unter anderem auch Einsamkeit. In den emphatischen Momenten von Popmusik, wo sie sozusagen ganz bei sich ist, wo sie anders ist als andere Kommunikationsformen, da geht es um ein bestimmtes, zeitgemäßes Gefühl. Und dieses zeitgemäße Gefühl handelt von Ausweglosigkeit, zugleich ist man aber auch stolz auf dieses Gefühl, weil es eben so zeitgenössisch ist, stolz, dass man dazu Kontakt hat. Und das formuliert man auch meistens averbal, das findet sich in der Soundgestaltung wieder und so weiter. Es ist also eine Übersetzung, darin vor allem eine psychologische Melancholie oder in eine dystopische Einschätzung der politisch, technologischen Verhältnisse oder dystopischen Prognosen zu erkennen und herauszulesen. Das ist ohnehin meistens eine starke Verengung dessen, was von der affektiven Seite aufgerufen wird. Wo die beiden Dinge schon was miteinander gemeinsam haben, das ist, dass diese Stimmung schon etwas hat von einem neuen, realistischen Gefühl, um das es den Leuten geht – einerseits. Andererseits sind natürlich die Ursachen für dieses Gefühl auch präsent in den Klängen. Und die sind natürlich nicht unpolitisch.

SK: Wichtiger Hinweis mit dem Bezug zur Politik. Der Club als heterotopischer Ort mit seinen ganzen dionysischen Versprechungen und dieser gleichzeitigen Gefährlichkeit von absoluter Überschreitung und Transgression, verliert das seine Faszination? Oder ist er gerade wegen dem, was wir gerade angesprochen haben, wieder ein hochaktuelles Thema?

DD: Das hängt davon ab, inwieweit Club-Kultur in Städten zugänglich und erreichbar ist und bleibt. Davon hängt es wirklich ab und von nichts weiter.

SK: Als tatsächlicher Ort, oder?

DD: Ja. Die dionysischen Versprechungen und die Transgression, dazu sind die Leute durchaus noch fähig. [lacht]

SK: Zum Glück. [lacht]

DD: Das ist auch noch nicht unattraktiv geworden. Aber damit es irgendwie was anderes sein kann als eine Legende oder eine Tourismusattraktion, muss es natürlich auch irgendwie eine relevante, stabile Szene geben.

SK: Auf dem Cover von deinem aktuellen Buch „Über Pop-Musik“ sind ganz viele Tonträger zu sehen. In den Radiosendungen beschäftigen wir uns hier viel mit Tonträgern. Da gibt es eine Menge von Wiederveröffentlichungen und Compilations, die versuchen, einen Sound einer Region, eines Landes zu präsentieren. Meinst du, dass dahinter auch so ein Wunsch nach musikalischer Katalogisierung von Welt steckt, also gerade in dieser Schwämme von World Music-Compilations und so weiter? Oder gibt es eine Art von Rückkehr von Exotismus oder Sozialromantik, die du da beobachtest?

DD: Zunächst mal gibt es diese ganzen Musiken bis dato nicht in meinem oder unserem Horizont. Vor der Katalogisierung und vor dem Exotismus, was ja dann sozusagen Sekundär-Phänomene sind, werden erst mal überhaupt Sachen zugänglich, die man nie gehört hat. Erst mal ist Katalogisierung auch gar nicht falsch. Es hängt davon ab, was man damit macht mit den so gewonnen Erkenntnissen oder auch deren Grenzen. Nichts hilft ja gegen Exotisierung so gut wie Wissen! Also wenn ich weiß, dass, wenn ich ganz bestimmte Streichinstrumente höre, ich nicht einfach den Fernen Osten höre, sondern eine ganz bestimmte Region in China, zu einer ganz bestimmten Zeit, zwischen 1900 und 1930, wird ja der Exotisierung entgegengewirkt. Dann kann ich nicht „den Osten“ imaginieren oder „das Chinesische“ oder andere Spielgeräte des Exotismus, sondern habe klare, historische Daten und Fakten. Insofern bin ich da nicht so skeptisch. Ich begrüße eigentlich diese Entwicklung. DD_slide

SK: … auch wegen der Zugänglichkeit und des Wissens, auf das man Zugriff haben kann?

DD: Ja. Ich habe jetzt auch nicht so wahnsinnige Angst, dass es ein Zuviel an Katalogisierung in der Welt gibt. Ich sehe überall alle möglichen Tendenzen, dem entgegenwirken. Insofern ist das nicht so die zentrale Sorge.

SK: In den letzten Zeilen deines aktuellen Buches „Über Pop-Musik“ schreibst du im Kapital „Ausblicke“, dass es anderer Medien, anderer Ästhetiken bedarf, die, ich zitiere jetzt mal, „die selbstverständlich alle schon irgendwo unverbunden schlummern. Nicht aus der Science-Fiction, nicht aus der Nacht des Weltalls müssen sie herbeigezaubert werden, sondern an ganz nahe liegenden Orten müssen sie entdeckt werden, diese kommenden Sounds und Noises.“ Sind demnach noch nicht alle Kombinationen von Klangursachen in den Zyklen von Musikgenres, ihre Kombination von Sounds, Moden, Haltungen und so weiter aufgebraucht? Muss man einfach weiter diggen, einfach weiter forschen, andere Orte und Perspektiven aufsuchen? Ist das so ein Schlüssel vielleicht?

DD: Ich meine das nicht so, wie soll ich sagen, forscherisch. Es geht nicht darum, dass es da noch irgendwas gibt, was anders klingt, und nicht um ein „ach, wir haben was gefunden, was wir noch nicht kennen.“ Sondern es geht um ein Verhältnis von Personen und Klängen, dass die Personen in einer anderen Weise auf die Weltbühne bringt. Es geht nicht darum, dass die Klänge an sich ein Neuheitskriterium oder ein Ungehörtheits-Kriterium erfüllen. Das wäre ja irgendwie stumpfe Fortschrittslogik. Daran habe ich nicht gedacht. Ich glaube auch nicht, dass die Forschung dabei hilft. Was ich da versuche zu sagen, oder warum ich das abgrenze gegen das Weltall und das ganze Andere, das ist, dass es eine Menge Diskurse gibt, die eben das glauben – nicht zuletzt die spekulativ Realistischen. Diese glauben, dass in einer ganz anderen, ungehörten, ungeschauten Welt die Zukunft neben der posthumanen zu suchen sei. Da gibt es auch Berührungspunkte zu allen möglichen politischen Theorien, die sich eine Revolution vorstellen, in der alles ganz anders ist. Während ich der Meinung bin, dass es eben alles eher schon da ist, aber noch nicht beleuchtet.

SK: …der Musiker oder auch der Rezipient oder wer auch immer eher als Verstärker von einer konkreten Sache, die da ist, die nicht im Weltall ist, die nicht Sonic Fiction ist?

DD: Fiction kann sie schon sein oder mit Fiction kann sie schon arbeiten, aber das hat ja nichts mit dem Weltall notwendigerweise zu tun. Nichts gegen Weltall, das kann man gerne mit einbeziehen [lacht] – aber es ist nicht so, dass es irgendwo anders passiert.

SK: Ich beschäftige mich viel mit Breakbeats als DJ, in Forschung und so weiter. Und mit Bässen, Überwältigung in Bassmusiken, den ganzen Genres des Hardcore-Kontinuums und seinen Vorgängern, Dub und so weiter. Kodwo Eshun könnte man auch, wo wir gerade auch über Sonic Fiction gesprochen haben, in dem Kontext erwähnen. Wie siehst du Breakbeats? Ich finde, da gibt es richtig spannende Ausdifferenzierungen zurzeit, Verschiebungen die sich ereignen. Wie siehst du Genres, wie Jungle und Drum ‘n’ Bass, Dubstep, Breakbeats…? Ist das ein Thema für dich?

DD: Nicht speziell. Nicht aus irgendwelchen guten Gründen, sondern ich habe nicht so viel mitbekommen in letzter Zeit.

SK: Bedarf es einer neuen Poptheorie? Über Internet haben wir noch nicht so richtig gesprochen. Wir haben über den tatsächlichen Ort gesprochen, den Club. Und dann gibt es noch Communities im Internet. Dazwischen gibt es eine Differenz. Muss jetzt Poptheorie sich mehr mit dem Thema Internet auseinandersetzen und diesen Kulturpessimismus, mit dem es da manchmal einhergeht, ablegen?

DD: Ich würde nicht immer alles Kulturpessimismus nennen, was irgendwelche Sachen nicht gut findet.

SK: Kritik ist berechtigt, klar.

DD: Genau, das denke ich auch. Wenn mit dem Internet alles anders wird, was so ganz natürlich nicht stimmt, dann geht auch vieles den Bach runter. Und da ist es berechtigt, das zu beklagen. Auf jeden Fall müsste sich eine Theorie damit beschäftigen, die auf der Höhe der Zeit sein will. Ich würde ja sogar noch weiter gehen und sagen, dass wir es mit einer ganz neuen Konfiguration von Kultur zu tun haben, der – es pfeifen die Spatzen von den Dächern – auch ganz andere ökonomische Modelle zugrunde liegen, so dass zum Beispiel eine Theorie der Reproduktion überhaupt gar nicht mehr hinhaut, auf der noch das Meiste an Massenkulturkritik basiert. Vor allem müsste man auch versuchen das zu beschreiben, worüber man eigentlich redet, die Objekte. Einerseits wird immer vom Internet allgemein gesprochen oder es wird andererseits gesprochen von Dingen, die es vorher schon gab und deren Vermittlung, Zirkulation, Rezeption sich geändert hat durch das Internet. Aber das sind beides nicht die tatsächlich anwesenden Objekte. Wahrscheinlich müsste man andere Objekte identifizieren. Wahrscheinlich müsste man einfach die Kombination von Objekten, Klang, Musik, Bildern und bestimmte Längen, in denen irgendwas dargeboten wird, identifizieren und sich mit ihnen beschäftigen. So, wie man eben dann irgendwann mal gelernt hat, was eine Single ist oder was ein Album ist, andere Einheiten benennen. Und nicht immer nur über das Internet reden oder darüber, was aus dem Album im Internet geworden ist. Denn das Album gibt es natürlich auch immer noch. Und das gibt es auch im Internet. Aber man müsste sich fragen, was an die Stelle dieser Einheiten getreten ist. Und vor allem, wie sie sich mit anderen medialen Erscheinungsformen verbinden.

SK: Also fehlt da auch teilweise ein Vokabular?

DD: Ja. Es fehlt aber viel mehr noch als Vokabular. Es fehlt einfach eine Einsicht darüber – und mir fehlt sie ja auch oder ich habe sie auch noch nicht formuliert und ich denke, das steht an – was eigentlich die kulturellen und künstlerische Objekte sind, mit denen wir es zu tun haben unter Internetbedingungen. DD

SK: Da gibt es ja auch ein Crossover zur Bildenden Kunst und zu anderen Medien. Ein interessantes Feld, indem du ja auch arbeitest und du sagst gerade ja, vielleicht machst du was in der Richtung, Das finde ich toll.

DD: Ja, erst mal aber nicht, weil ich noch andere Sachen habe. Aber ja, so irgendwie ist es ein Ziel.

SK: Andere Künste, die damit zusammenhängen, Medienkunst zum Beispiel, die beschäftigt sich natürlich viel mit dem Verhältnis Technik, Körper, quasi auch nach der Endlichkeit, mit der Auflösung, Manifestation, mit Transparenz, Internet, Allgemeinheit von Informationen. Was sind für dich die aktuellen Themen, die dich bewegen in Kunst, Musik, Philosophie, an dieser Schnittstelle?

DD: Das war jetzt sehr viel, was du gerade genannt hast. Also einerseits interessiert mich alles, was gerade zeitgenössisch passiert. Ich verfolge alle Diskurse, aber das sind nicht meine, ich nehme sie nur zur Kenntnis. Und beobachte sie. Ich habe mich dazu ja teilweise vorhin schon geäußert. Zum anderen habe ich meine eigenen Forschungen. Und die haben nicht unbedingt was damit zu tun. Woran ich gerade sitze, sind einerseits ethnografisch, anthropologische Dinge und andererseits eine Theorie des Privilegs. Und ein Versuch bestimmte Kunst- und Politikdiskussionen von einer anderen Seite aus zu führen. Das ist eigentlich das, was mich am meisten interessiert. Das hat aber nicht direkt was zu tun mit dem, was im Moment gerade so passiert.

SK: Sind das auch Themen, die du in Wien dann lehrst?

DD: Nein, erst mal nicht. Erst mal muss ich mich damit beschäftigen, bevor ich das wieder rauslassen kann [lacht].

SK: Ist also gerade neu… [lacht]

DD: Im Moment lehre ich auch nicht, ich habe ein Sabbatical. Insofern muss ich mir die Sorge gerade nicht machen [lacht].

SK: Deshalb kannst du wahrscheinlich auch nach Brasilien gehen?

DD: Ja.

SK: In Brasilien hast du ein Projekt laufen demnächst.

DD: Nicht demnächst.

SK: Im Oktober oder so?

DD: Ich mache alles Mögliche. Aber im Moment ist das alles noch kein Projekt. Es wird eins, ja.

SK: Kannst du da schon was darüber sagen, oder ist das….?

DD: Nein.

SK: Okay, gut. Kannst du uns was zu den beiden Themenfeldern, in denen du gerade unterwegs bist, sagen?

DD: Nein, ehrlich gesagt nicht. Das ist vorab [lacht]

SK: Musst du ja auch nicht [lacht]. Dann habe ich jetzt noch eine Frage zum Abschluss, die fast schon rhetorisch ist. Musik, deren Klangursache unklar ist oder die vielleicht unbekannt ist, die man eventuell nicht so verstehen kann, ist das für dich die interessantere Musik?

DD: Das Spiel mit der Klangursache ist bei Musik ja gewissermaßen immer klar. Wenn ich weiß, dass es Musik ist, dann weiß ich: die Klangursache ist in letzter Instanz der Subjektivität. Und das ist irgendeine Person, die will, dass ich irgendwas höre oder mich mit irgendeinem Klanggeschehen beschäftige. Das wäre dadurch auch von seiner Unheimlichkeit entbunden. Eine beabsichtigte Unheimlichkeit, die kann dennoch immer noch was Unheimliches evozieren …

SK: Hauntology, zum Beispiel.

DD: Ja. Aber lange vor Hauntology war für mich immer die unheimlichste Musik “In C” von Terry Riley. Ich war gerade bei den Ruhrtriennale, da gab es eben so einen Abend…

SK: Mit Mouse on Mars und so weiter….

DD: Genau. Mit Mouse on Mars und diesen Africa Express. Und das ist so der Versuch, die Unheimlichkeit aus “In C” rauszukriegen. Bei Mouse on Mars war das unglaublich schmissig und groovy und rockte das Haus. Und bei Africa Express war es unglaublich kollektiv und auch soulful und hatte dann eben auch wieder betonte Beats und war dann wieder auch ins Menschliche zurückgeholt worden. Aber das, was bei “In C” in der Originalfassung – so was gibt es da zwar eigentlich nicht wirklich, aber in den ersten Aufführungen, die man davon so gehört hat, auffällig ist, ist ja, dass es eben keinen betonten Beat gibt, sondern dass alles abläuft, wie eine Maschine. Oder eben als Puls. Obwohl es trotzdem erkennbar und auch hörbar von Menschen gespielt ist. Das fand ich früher immer sehr, sehr interessant und unheimlich.

Ansonsten gibt es in der Sound-Art teilweise auch sehr effektives Spielen damit, dass sich zwei mögliche Klangursachen ineinander überblenden, so dass man das Gefühl hat es mit einer ganz bestimmten Klangursache zu tun zu haben, es dann aber eine andere ist. Und am besten erfährt man das nicht erst nur aus dem Booklet, sondern es ist etwas, was sich auch gleichzeitig schon mitteilt, was sozusagen erahnbar wird. Darüber gibt es eine ganze Menge Möglichkeiten, damit was Interessantes zu machen. Ich will jetzt aber nicht so, wie es in der Frage anklang, daraus eine Orthodoxie machen und sagen „das ist es, wo es langgeht“, oder „da wird es auf jeden Fall interessanter“. Denn, solange wir es mit Kultur zu tun haben, dient alles der Verständigung, ist alles irgendwie gemeint. Und daher gibt es auch das ganz Unbekannte nicht. Oder wenn es das gäbe, könnten wir nichts damit anfangen. Das ist ja eben der Irrtum zu glauben, dass, wenn wir hören, wie jemand eine Symphonie für Bäume schreibt und die ist eigentlich auch tatsächlich eine, die für Bäume funktioniert, dass wir damit irgendwas anfangen könnten.

SK: Richtig, wir wissen es nicht. Und wir sind immer noch als Subjekt da. Das bringt uns wieder zu dem Anfang unseres Interviews zurück.

DD: Genau.

SK: Vielen Dank an Diedrich Diederichsen für dieses Interview. Ich wünsche dir viel Erfolg dann auch in Brasilien. Tschüss.

DD: Danke. Tschüss.

Das Interview wurde live gesendet auf dem Dortmunder Radiosender eldoradio* (UKW 93.0 // www.eldoradio.de) in der Autoren-Musikradiosendung Vinyl Asyl mit Dash (Steffen Korthals) am 3. August 2015 zwischen 20:00 und 22:00 Uhr. Nachzuhören ist das Gespräch aus der Live-Sendung hier: https://www.eldoradio.de/podcast/im-gespraech-mit-diedrich-diederichsen. Besten Dank an Diedrich Diederichsen für die Überarbeitung und Freigabe des Transkripts sowie an Kiepenheuer & Witsch für das Foto.

About Dash

Dash ist seit fünfundzwanzig Jahren als DJ in der hiesigen Clubkultur unterwegs und erfolgreich. Als Journalist, Redakteur, Pressesprecher, Radiomoderator und Autor tummelt sich Steffen Korthals / Dash im urbanen Leben und in kulturellen, gesellschaftlichen und künstlerischen Diskursen der Zeit.

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