Bericht aus der Elektro-Hauptstadt

Posted by | November 30, 2015 | Sound | No Comments

Nachtrag zu Kommerz, subkultureller Haltung und Wissenschaft

Vom 29.-31.10.2015 fand in Düsseldorf, der selbst ernannten >Hauptstadt der elektronischen Musik<, eine Konferenz zu der Veröffentlichung Electri_City von Rüdiger Esch statt, worüber bei At The Controls in mehreren Kolumnen berichtet worden ist. Die Veranstaltung bestand aus einem knapp zweitägigen wissenschaftlichen Symposium, das inhaltlich ein voller Erfolg gewesen war, und einer dreitägigen Konferenz, wo es neben Interviews und Podiumsdiskussionen mit bekannten Musikern und anderen Akteuren auch ein musikalisches Rahmenprogramm gab. Allerdings war lediglich das Konzert des Headliners Heaven 17 ausverkauft und der Rest der Events mäßig bis schlecht besucht. Dies mag zu einem dem Veranstaltungort, dem Congress-Center der Messe Düsseldorf, geschuldet gewesen sein, dass von der Location her den diskreten Charme eines bourgeoisen Abitur-Abschlussballs mit dem leicht schmierig wirkenden Sex-Appeal eines Speisewagens der Deutschen Bahn AG zu verbinden wusste. Wenn dieses Setting in irgendeiner Weise wenigstens ansatzweise ironisch gemeint gewesen wäre, hätte das gut sein können. War es aber nicht und insofern indizierte es nur, um was es eigentlich ging: Städtemarketing mit dem positiv konnotierten Image der >Elektro-Hauptstadt

Das Outsourcen bei der Electri-City Konferenz betraf mit der Afterhour nach dem Konzert von Wrangler und Michael Rother auch einen Teil des musikalischen Rahmenprogramms. Ein expliziter Dance-Event liegt im Kontext elektronischer Musik eigentlich nahe und hätte Gelegenheit bieten können, gerade hier die aktuelle Szene zu präsentieren. Allerdings löste die Veranstaltung im Dr.Thompson und dessen Line-Up bei subkulturell orientierten Protagonisten aus Düsseldorf Kopfschütteln bis Entsetzen aus. Hier einige Stimmen einer Befragung:

Daniel (DJ und Partyveranstalter): „ [Das Dr. Thomson ist] ein Schicki- und Hipster-Laden. Restaurant mit Event-Location. Das Restaurant ist an sich ne coole Location, aber die Partys zeigen Düsseldorfs Schicki-Szene. Alle schreien nach Subkultur. Und wenn diese geboten wird, gehen sie lieber zu den üblichen Veranstaltungen oder bleiben ganz fern.

Felix (Musiker): „Chico gehört zu den Strandpiraten. Das ist so eine Sommer-Massenveranstaltung mit elektronischer Musik-[…] furchtbare Veranstaltung. […]. Oliver von Linn gehört zu Kaninchendisco, das ist auch so eine Massenveranstaltung […]. Auch voll der Mist!“

Lauritz (DJ und Partyveranstalter): „Ich kenne kaum einen von diesen Acts, vor allem bei Aftershow-Party. Die kommen zum Teil auch nicht aus Düsseldorf oder sind irgendwelche Youngsters, die definitiv NIX [Hervorhebung im Original] mit der Geschichte um Düsseldorf und um Kraftwerk herum zu tun haben und auch sonst keine Bedeutung zu haben scheinen. […] . T. meinte zu mir, dass der Carsten Siewert von der Electri_City Konferenz eben sonst Musikprogramme für die Messe Düsseldorf macht, Area, Mitsubishi Electric Hall, Congress etc.

Auch bei Düsseldorfs wohl renommiertsten Klub in Sachen elektronischer Musik, dem Salon des Amateurs, wurde die Veranstaltung und deren Ort („Ich muss lachen und weinen“) mehr als problematisch gesehen, obwohl man bei anderer inhaltlicher Ausrichtung und dementsprechend alternativen Acts durchaus bereit gewesen wäre, zum Programm der Electri-City Konferenz beizutragen. Allerdings hatten wohl „Esch und Konsorten […] mitbekommen […], dass ich eben der Vermarktung kritisch gegenüber stehe“, so Detlef Weinrich, Betreiber des Salons.

Hinter diesen lokalen Begebenheiten steht offensichtlich die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Wirtschaft und Politik zu (subkulturell orientierter) Kunst und Wissenschaft. Den Playern der ersten beiden Felder ging es darum den Standort Düsseldorf attraktiver zu machen und die These von Düsseldorf als >Hauptstadt der elektronischen Musik< kam dafür sehr gelegen. Man hätte es sicherlich sehr gerne gesehen, wenn das wissenschaftliche Symposium diese These nur ansatzweise bestätigt hätte, was aber nicht geschah und aufgrund der musikhistorischen Fakten auch eigentlich gar nicht geschehen konnte. Trotzdem bildete das Symposium den notwendigen Background für den wirtschaftspolitisch motivierten ,Werbeblock’, die sonstige Electri_City Konferenz, in die dann auch ein Großteil der zu vergebenen Gelder geflossen ist. Interessantweise fand bei diesem Teil der Konferenz neben den Konzerten sowie Interviews und Podiumsdiskussionen aber ebenfalls ein wissenschaftlicher Vortrag von Giacomo Bottà statt, der zur nicht nur von ihm angenommen Korrelation von Städten und dort entstandener Musik referierte. Dies brachte zwar auch keine Bestätigung der Hauptstadt-These, aber immerhin die Aussage, dass die elektronische Musik aus Düsseldorf so klingt, wie sie klingt, weil sie eben aus Düsseldorf stammt. Die höchst identitätsstiftenden Implikationen dieser Sichtweise liegen auf der Hand und der bereits erwähnte Vergleich zwischen dem Florenz der Renaissance und der Rheinmetropole der- zumindest retrospektiv- ökonomisch und künstlerisch ,goldenen’ 1970er und 80er Jahre schafft zusätzliche historische Legitimation, zumal man damit an bildungsbürgerlich bestens etablierte Diskurse anschließen kann. Dies spricht noch keinesfalls gegen Giacomo Bottàs wissenschaftlichen Standpunkt an sich, aber es stellt sich die Frage, warum dieser aus dem wissenschaftlichen Symposium outgesourct wurde, wo er eigentlich hingehört hätte. Die Wahrheitsfindung der geisteswissenschaftlichen Disziplinen ist bekanntlich ein intersubjektives Unterfangen und vollzieht sich daher prinzipiell in akademischen Diskursen. Durch die jeweils eigene wissenschaftliche Redlichkeit stehen Diskursbeiträge in potentieller Spannung zu vordergründigen politischen und ökonomischen Interessen, können und dürfen sich aber jedoch auch teilweise mit ihnen decken. Doch auch dann bleiben sie mehr oder weniger plausibel erscheinende Diskursbeiträge, selbst wenn diese, wie in Düsseldorf geschehen, von interessierten Organisatoren im ,Werbeblock’ im Congress-Center platziert wurden.

Trotz deutlich unterschiedlicher Handlungsfelder, Methoden und Beurteilungskriterien eint Wissenschaftler und Künstler der eigene Anspruch von inhaltlicher Aufrichtigkeit und persönlicher Integrität. Man muss nicht immer anderer Meinung und Überzeugung sein als es opportun erscheint, aber man muss dies artikulieren, wenn dies der Fall sein sollte- es soll hier keinesfalls ein Loblied der radikalen Kompromisslosigkeit angestimmt werden (schließlich muss jeder seine Miete und Stromrechnung irgendwie bezahlen), wohl aber eines der kritischen und eigentlich prinzipiellen Distanz der Akteure in den Feldern Kunst und Wissenschaft zu den gegebenen Verhältnissen und Strukturen in Politik und Wirtschaft. Denn die diesen Systemen inhärenten Tendenzen der Vereinnahmung des ihnen jeweils Genehmen und Nützlichen gehen stets mit der bewussten Reduktion von Komplexität und der Ausblendung von Ambivalenzen einher. Wenn der eigene Standpunkt nicht von Komplexität und Ambivalenzen und der Reflexion darüber geprägt sein sollte, ist das durchaus auch in Ordnung und wahrscheinlich sogar hilfreich in Sachen Karriere und Erlangung verschiedener Formen von Kapital (Bourdieu), wird aber wohl kaum zu guter Wissenschaft und Kunst führen.

Das Symposium der Electri_City Konferenz in Düsseldorf stellt sicherlich einen wichtigen Meilenstein in der akademischen Auseinandersetzung mit (elektronischer) Popmusik in Deutschland dar und auch der Rest der Veranstaltung bot teilweise interessante Beiträge. Allerdings zeigen die sehr vordergründige Berichterstattung der Lokalpresse und die organisatorischen Hintergründe der Veranstaltung auch die Problematik und Gefahren der allzu engen Verquickung von Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Kunst. Bezeichnenderweise wird das wissenschaftliche Symposium bei dem Resümee der Electri_City Konferenz auf deren offizieller Homepage mit keinem Wort erwähnt, allerdings wider besseren Wissens behauptet, dass sämtliche Veranstaltungen gut besucht wurden und natürlich den Organisatoren gedankt, Rüdiger Esch und der Düsseldorf Congress Stadt& Event GmbH, die zu jeweils 50% der Stadt und der Messe Düsseldorf gehört. Auch die Sponsoren, die Stadtwerke Düsseldorf, die Stadtsparkasse und die Brauerei Warsteiner (klar, typisch Düsseldorfer Bier) finden dort Erwähnung, nicht jedoch Enno Stahl und Uwe Schütte als Kuratoren des akademischen Teils der Veranstaltung oder SSC/New Fall. In der Rheinischen Post war in einem Artikel vom 30.10. sogar nochmals richtig übel nachgetreten worden, indem man dort behauptete, dass Rüdiger Esch der eigentliche Macher, der Impresario des Ganzen gewesen ist und es nur einiger Anrufe und E-Mails bedurft hätte, während die Akademiker eher gebremst hätten. So sieht es dann wohl aus, wenn der Mohr seine Schuldigkeit nicht getan hat und (nicht nur) hier tut Gegenöffentlichkeit not.

About Timor Kaul

Der Kölner Kultur- und Musikwissenschaftler Timor Kaul ist regelmäßiger Gastreferent am Institut für Populäre Musik in Bochum und arbeitet zur Zeit an seinem musikethnologischen Promotionsvorhaben Lebenswelt House/ Techno: DJs und ihre Musik.

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